Frage: Für Verfahren wie das Deep Learning fehlen oft die Trainingsdaten. Können gemeinsame Datenräume wie GAIA-X oder Catena-X da Abhilfe schaffen?
Köster: Ich glaube, dass solche Daten- und Dienste-Ökosysteme für die gesamte Wertschöpfung in der Automobilindustrie wichtig sind. Dadurch können über Unternehmensgrenzen hinweg deutlich mehr Daten zugänglich gemacht werden, als jedes einzelne Unternehmen für sich einfahren kann. Auch deshalb engagieren wir uns intensiv in diesen Projekten. Ein zweiter wichtiger Aspekt mit Blick auf SET Level ist aber, dass wir viele dieser Trainingsdaten künftig synthetisch, d.h. simulationsbasiert erzeugen werden. Darüber hinaus verändern sich auch die Umweltsysteme ständig, z.B. wenn Städte ihre Infrastruktur neu planen und Radwege stärker in die Fahrspuren integrieren. Das muss beim Testen automatisierter Fahrzeuge berücksichtigt werden. Hier liefern die verschiedenen Datenquellen oder zukünftig auch Datenräume, die auf der Grundlage von GAIA-X zusammenfließen, wichtigen Input.
Frage: Ist der enorme Aufwand, der für das automatisierte Fahren im städtischen Verkehr getrieben wird, überhaupt gerechtfertigt?
Köster: Das ist eine spannende Frage. Braucht man Fahrzeuge, die in jeder erdenklichen Situation vollautomatisiert fahren, oder lassen sich viele Mehrwerte nicht auch nur in bestimmten Situationen oder Ausschnitten des Verkehrssystems generieren? In vielen Städten haben Sie z.B. einen ÖPNV, der sich um das Stadtzentrum bewegt. Da macht es Sinn, die Shuttles voll zu automatisieren und fahrerlos fahren zu lassen, denn Sie kennen die Operational Design Domain recht gut und können dafür Sicherheitsstrategien implementieren. Wenn Sie Sharing-Konzepte unterstützen wollen, können Sie z.B. nur die Bereitstellung und Abgabe der Fahrzeuge über einen Hub automatisieren. Das macht es für die Menschen vielleicht einfacher, auf ein eigenes Fahrzeug zu verzichten. Durch die engen Gassen der Innenstadt von Braunschweig, wo ich lebe, vollautomatisiert fahren zu wollen, ist dagegen eine extreme Herausforderung und vielleicht zukünftig auch immer weniger im Interesse moderner Stadtkonzepte.
Frage: Sie haben sich während des Studiums auch im Fach der Psychologie bewegt und viel in interdisziplinären Teams aus Informatikern, Ingenieuren und Psychologen gearbeitet. Welche psychischen Belastungen kommen auf die Insassen automatisiert fahrender Fahrzeuge zu?
Köster: Wenn es gut gemacht wird, hoffentlich keine. Es gibt intensive Untersuchungen dazu, wie man den Menschen in so ein Fahrzeug integriert, insbesondere dann, wenn er die Fahraufgabe wieder übernehmen muss. Was man vermeiden sollte ist eine Situation, in der Sie als Fahrer beobachten müssen, ob das Fahrzeug richtig funktioniert, weil das kognitiv deutlich anspruchsvoller ist als die Aufgabe selbst durchzuführen. Ansonsten ist das automatisierte Fahren in Zukunft wahrscheinlich nicht stressiger als das Fahren mit dem Bus, Zug oder im Taxi.
Herr Prof. Köster, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
(Das Interview führte Michael Wendenburg)
Zur Person
Prof. Frank Köster arbeitet seit 2007 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), unter anderem als Abteilungsleiter Automotive und als Leiter Geschäftsfeldentwicklung Automotive, Bahn, ÖVPN und Verkehrsmanagement im Institut für Verkehrssystemtechnik. Seit Dezember 2020 ist er Direktor des neu geschaffenen DLR-Instituts für KI-Sicherheit. Gleichzeitig leitet er die Abteilung Intelligente Transportsysteme des Departments für Informatik an der Uni Oldenburg, wo er Informatik studierte, promovierte und habilitiert wurde. Im Rahmen der Promotion untersuchte er bereits verschiedene Ansätze der Modellbildung und Simulation und befasste sich auch mit der Frage, wie sich Simulationsmodelle mit Hilfe von Data Mining und Künstlicher Intelligenz erklären lassen.