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Software ist der Schlüssel für die automobile Zukunft

Ein Interview mit Philipp Hasenäcker

Vor etwa einem Jahr hat die PROSTEP AG die Anteilsmehrheit an der Bartscher & Hasenäcker Consulting GmbH übernommen, um ihre Kompetenzen auf dem Gebiet von PLM/ALM für E/E- (Elektrik/Elektronik) und Software-Entwicklung zu verstärken. Philipp Hasenäcker erläutert im Interview, was E/E und Software für PLM/ALM bedeuten und welche Synergien er sich von der Zusammenarbeit mit PROSTEP verspricht.

Frage: Bartscher & Hasenäcker Consulting ist spezialisiert auf PLM/ALM für E/E und Software. War das von Anfang an Ihre Geschäftsidee?

Hasenäcker: Unsere heutige Spezialisierung war ursächlich keine dezidierte Geschäftsidee, sondern hat sich im Laufe der Zeit ergeben. Wir waren anfangs bei einem großen Automobilhersteller in unterschiedlichste PLM-Projekte eingebunden, hierbei aber immer sehr nahe an den entwickelnden Fachbereichen. Dort haben wir seinerzeit auch die Unzulänglichkeiten in der E/E- und Software-Entwicklung kennengelernt. Es gab in den unterschiedlichen Organisationseinheiten für die Mechatronik-Entwicklung individuelle Prozesse und Methoden und eine sehr heterogene Systemlandschaft mit vielen Insel-Lösungen, denen das einigende Ganze fehlte. Wir hatten dann das Glück, dass wir dank unserer bereits vorhandenen Kompetenzen in der PLM-Toolchain des OEM sowie unserer sehr guten Reputation in der Organisation als externe Berater an einem großen PDM-Projekt für E/E teilnehmen durften. Wir haben dann sehr schnell die richtungsweisende Bedeutung erkannt und uns ab dem Zeitpunkt ganz auf das Thema fokussiert.

Frage: Welche Bedeutung haben E/E und Software heute für die Automobilindustrie?

Hasenäcker: Alle großen Automobilhersteller verstehen sich aus Ihrer Historie heraus darauf, hochwertige und erstklassige Mechanik-Produkte zu produzieren. Es sind jedoch zunehmend die mechatronischen Assistenzsysteme, die smarten Features und zunehmend auch die digitalen Services sowie die Verschmelzung des Fahrzeugs mit der Umgebung, die den Unterschied ausmachen. Wenn eine hochinnovative Technologie wie das Multimediasystem MBUX zuerst in der A-Klasse und nicht der S-Klasse eingeführt wird, um neue, digital geprägte Zielgruppen zu begeistern, dann sagt das viel über den Wandel aus. Daimler muss sich von einem produkt- in einem serviceorientierten Konzern verwandeln, wie CIO Jan Brecht auf dem EDM-Forum einmal sagte, und Software wird als Bestandteil von mechatronischen Systemen oder in digitalen Services der entscheidende Treiber für diese Transformation sein. Insofern bin ich der festen Überzeugung, dass E/E und Software für die Automobilindustrie eine kaum zu überschätzende Bedeutung hat.

Frage: Macht Ihnen die viele Software im Fahrzeug nicht manchmal ein bisschen Angst? Software ist nie fehlerfrei und kann gehackt werden.

Hasenäcker: Meiner Meinung nach, und das sagen auch die Statistiken, haben die vielen Assistenzsysteme das Fahren signifikant sicherer gemacht. 2019 sind so wenige Menschen im Straßenverkehr ums Leben gekommen wie noch nie seit Beginn der statistischen Erhebung vor mehr als 60 Jahren. Davon abgesehen setzen wir uns doch heute auch weitgehend vorbehaltlos in Verkehrsflugzeuge, in denen der Autopilot einen Großteil des Flugs übernimmt und hierbei modernste Avionik und hochkomplexe Software zum Einsatz kommen. Zweifellos ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Zukunft, ob es gelingt, die Heterogenität in der Entwicklung und Verwaltung der Software zu beherrschen, und dies über den gesamten Lebenszyklus von Fahrzeugen.

Frage: Welches sind die besonderen Schwierigkeiten bei der der E/E- und Software-Entwicklung?

Hasenäcker: Zunächst einmal ist die Anzahl der Beteiligten, die an der Entwicklung mechatronischer Systeme mitwirken, sehr viel größer und heterogener als im klassischen Mechanik-Umfeld. Der Hardware-Entwickler weiß z.B. normalerweise gar nicht wer die Software entwickelt. Es gibt vielschichtige Lieferanten-Beziehungen und diverse Verantwortlichkeiten, die jeweils einen individuellen Beitrag leisten, um am Ende eine robuste und konsistente Systemfunktionalität sicherzustellen. Daraus ergibt sich eine erhebliche Komplexität, die in irgendeiner Form gemanagt werden muss.

Frage: Welche Herausforderungen ergeben sich konkret hinsichtlich PLM?

Hasenäcker: Eine der Kern-Herausforderungen ist aus unserer Erfahrung heraus das Kompatibilitätsmanagement, um jederzeit mögliche Konflikte für alle Beteiligten transparent zu machen. Es geht hier um vernetzte mechatronische Systeme mit vielen Abhängigkeiten, die im Innen- und Außenverhältnis zueinander kompatibel sein müssen. Eine weitere Herausforderung ist das Thema Traceability, d.h. die Nachvollziehbarkeit der vielen Informationen in mechatronischen Systemen und Bauteilen, die entlang des Lebenszyklus dokumentiert und versioniert werden müssen. Es ist keine neue Erkenntnis, dass sich die Software wesentlich schneller weiterentwickelt als z.B. das Gehäuse eines Steuergeräts oder die Platine. Lückenlose Traceability ist weiterhin ein essenzieller Aspekt für die Nachweis- und Zertifizierungsprozesse, die umso wichtiger werden, je mehr die Industrie über hochautomatisiertes, bzw. autonomes Fahren im Sinne Level 3 oder höher nachdenkt.

Frage: Weshalb gibt es dafür bis heute keine geeigneten IT-Systeme? Haben die PLM-Hersteller geschlafen?

Hasenäcker: Die PLM-Hersteller werden da sicher anderer Meinung sein, aber ich betrachte PLM nicht als ein monolithisches System, sondern als eine Komposition aus Prozessen, Methoden und unterstützenden IT-Anwendungen. Die Herausforderung, die sich in einem solchen Szenario stellt, ist die Kombination von klassischen PLM- und ALM-Fähigkeiten, bzw. Funktionalitäten. ALM (Application Lifecycle Management) muss kraftschlüssig in diese Umgebung integriert werden, um die Software-Artefakte in angemessener Weise verwalten zu können. Die Nahtstelle zwischen ALM und PLM ist hochindividuell, d.h. es bedarf immer einer individuellen Lösung für das jeweilige Ökosystem des Kunden, sein Produktprofil und seine Ansprüche.

Frage: Welche Art von Lösungen entwickeln Sie im Rahmen von Kundenprojekten?

Hasenäcker: Unser Lösungsansatz sieht vor, dass wir mit dem Kunden zunächst auf der Geschäftsprozessebene ein gemeinsames Verständnis erarbeiten, um seine heterogene Realität transparent zu machen. Wir begleiten ihn in einem zweiten Schritt unter Einbeziehung unserer Erfahrungen und Best Practices auch bei der Gestaltung der konkreten Lösungen, d.h. wir sind keine reinen Prozessberater, sondern legen unsere Vorschläge über Konzepte und Spezifikationen bis auf Attributebene in den Datenmodellen betroffener IT-Anwendungen tiefer. Das Einzige, was wir nicht selbst machen, ist die Realisierung der Software in den IT-Anwendungen. Hier arbeiten wir mit Partnern und jetzt eben auch mit PROSTEP zusammen.

Frage: Sie konzipieren also ausgehend von den Prozessanforderungen und den eingesetzten IT-Systemen integrierte Tool-Chains für E/E und Software?

Hasenäcker: Richtig, wir kümmern uns insbesondere um die Integration der bestehenden Applikationen und die Art und Weise, wie sie miteinander kommunizieren, bzw. Informationen austauschen. Bei einem erheblichen Anteil unserer Projekte kommt aber auch Individual-Software zum Einsatz, weil es keine passenden, kaufbaren Lösungen gibt. Im Übrigen ist auch bei dem schon zuvor angesprochenen PDM-Projekt für E/E eine reine Individual-Software-Anwendung entstanden.

Frage: Das PDM-Projekt für E/E-Sachverhalte bei einem Automobilhersteller war also Ihr bislang wichtigstes Kundenprojekt?

Hasenäcker: Ja, ich denke, das kann man so sagen. Das Projekt hatte für uns eine gewaltige Strahlkraft, weil wir in einigen Entwicklungsdomänen positive Akzente setzen konnten. Dadurch sind wir heute im ganzen Themenbereich der E/E und des Software-Managements zu Hause, mit einem starken Fokus auf alle Software-Artefakte, die in irgendeiner Form für die Steuergeräte Bedeutung haben. Und wir sind umfassend in die Konzeption des E/E-Release-Managements involviert, ein zentraler E/E-Integrationsprozess, der dafür sorgt, dass zu definierten Zeitpunkten im Fahrzeugentwicklungsprozess koordiniert aktuelle Versionen der E/E-Komponenten mit Hard- und Software-Informationen für Tests und Absicherung bereitgestellt werden.

Frage: Welche Synergien versprechen Sie sich im Verbund mit PROSTEP?

Hasenäcker: Unsere größte Herausforderung war bislang, sehr stark auf einen großen Automobilhersteller fokussiert zu sein. Von der Zusammenarbeit mit PROSTEP versprechen wir uns die Möglichkeit, neue Kunden und Projekte in der Automotive- und anderen Branchen zu gewinnen, denn das Unternehmen ist deutschlandweit und über Deutschland hinaus ein hoch angesehener Partner für Themen rund um PDM und PLM. Wir arbeiten intensiv gemeinsam daran, unser Lösungsangebot für E/E und Software in der PROSTEP-Gruppe zu verankern, um mit dem erweiterten Profil neue Kunden zu gewinnen oder bei Bestandskunden neue Themen zu besetzen.

Frage: Macht sich das denn auch schon im Tagesgeschäft bemerkbar?

Hasenäcker: Es gibt auf der operativen Ebene bereits eine Reihe von Projekten, bei denen wir unsere Kräfte bündeln. Wir hatten z.B. einen Auftrag zur Entwicklung einer Lösung für die erweiterte Funktionsprüfung im E/E-Bereich, bei dem wir PROSTEP als Entwicklungspartner ins Boot geholt haben. Die Mitarbeiter der polnischen Niederlassung haben für uns die Software programmiert, so dass wir für den Kunden eine Gesamtlösung aus einer Hand anbieten konnten. Auch bei einem anderen großen OEM gibt es bereits zwei gemeinsame Projekte, in denen wir unser Engagement in der Zukunft auch noch weiter verstärken wollen. Außerdem haben wir mit den Kollegen aus der PLM-Strategieberatung die Capability Landscape um E/E-spezifische Themen angereichert, um sie auch für Fragestellungen rund um mechatronische Produkte nutzen zu können.

Frage: Sind Sie auch in die Förderprojekte zur digitalen Absicherung autonomer Fahrfunktionen involviert, in denen PROSTEP eine wichtige Rolle spielt?

Hasenäcker: Bislang erst am Rande, wir haben hier jedoch auch bereits Schritte eingeleitet, dass wir unsere Zusammenarbeit auch hier vertiefen. Ich messe diesen Projekten größte Bedeutung bei, weil wir für das autonome Fahren gemeinsame Standards benötigen. Standards sind essenziell, wenn die deutschen Automobilhersteller und Zulieferer in Zukunft ihre Stärke behalten wollen.

Herr Hasenäcker, wir danken für das Gespräch. 

(Das Interview führte Michael Wendenburg)

 



Zur Person

Philipp Hasenäcker (Jahrgang 80) leitet die Bartscher & Hasenäcker Consulting GmbH (BHC) in Böblingen, die zur PROSTEP-Gruppe gehört. Hasenäcker stammt aus Paderborn und studierte Wirtschaftsingenieurwesen in Detmold. Seit über 15 Jahren ist er als externer Berater in der Automobilindustrie rund um PLM/ALM für E/E und Software tätig. Seit 2016 ist er Mitinhaber und Geschäftsführer der BHC.

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