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Die digitale Durchgängigkeit bestimmt der Digital Twin

Von Karsten Theis

Der Digital Twin ist ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Enabler für die digitale Transformation der Geschäftsprozesse und die Entwicklung datengetriebener Geschäftsmodelle. Deshalb steht er im Mittelpunkt vieler Digitalisierungsinitiativen in unterschiedlichen Branchen. Bei der Implementierung des Digital Twins stehen die Unternehmen allerdings vor einer Reihe von Herausforderungen. Eine davon, aber nicht mal die größte ist, dass ihre bestehenden PLM-Fähigkeiten aller Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen und erweitert werden müssen.

Alle Welt redet vom Digital Twin, oder vielleicht sollte ich sagen, fast alle Welt. Bei Agrartechnik-Hersteller CLAAS nimmt man den Begriff nicht in den Mund, um die Anwender nicht durch große Begriffe abzuschrecken, wie Kai Korthals im Interview mit dem PROSTEP-Newsletter erzählt. Für viele Unternehmen ist der Begriff des Digital Twins nämlich immer noch ein Buzzword, unter dem jeder etwas anderes versteht. Auch im Schiffbau gibt es trotz vieler Digital Twin-Vorhaben noch kein branchenweit einheitliches Digital Twin-Verständnis, wie eine Umfrage von PROSTEP kürzlich gezeigt hat.

Mein Verständnis des Digital Twins ist maßgeblich durch eine Konzeptstudie geschärft worden, die wir gemeinsam mit 3DSE für Airbus Defense & Space gemacht haben. Die Erkenntnisse sind in ein Whitepaper eingeflossen, das ich Ihnen zur Lektüre empfehle. Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass es so etwas wie einen generischen Digital Twin gibt bzw. geben sollte, der das Produkt bzw. die Produktionsanlage über alle Phasen des Lebenszyklus hinweg begleitet – vom as designed / planned / manufactured - bis zum as operated / maintained-Zustand.

Die phasenspezifischen Ausprägungen des Digital Twins haben eine gemeinsame Datenbasis, von der Ausprägungen für die zu unterstützenden Anwendungsfälle abgeleitet werden. Für jeden Anwendungsfall einen speziellen Digital Twin aufzubauen, wäre keine Lösung, weil es Insellösungen und Datensilos schaffen würde. Ziel muss es sein, den Digital Twin über alle Produkte und Varianten hinweg so redundanzfrei wie möglich zu halten. Deshalb stellt er noch einmal wesentlich höhere Anforderungen an das Konfigurationsmanagement.

Wir müssen uns von vorneherein Gedanken darüber machen, wie wir den digitalen roten Faden (Digital Thread) bis zum Digital Twin spinnen. Ich würde den Spieß sogar umdrehen und sagen, dass sich die Anforderungen an die digitale Durchgängigkeit letztlich aus dem Digital Twin ergeben. Er bestimmt, für welchen Anwendungsfall wir welche Informationen in welcher Granularität verknüpfen müssen. Ansätze basierend auf Data Lakes tragen meiner Ansicht nach nicht. Felddaten aus der Anwendung eines Produktes müssen korrekt und nachvollziehbar den Entwicklungsdaten zugeordnet werden können. Im Nachhinein Zusammenhänge durch semantische Suchen oder KI herzustellen, bringt maximal eine 80%-Lösung und ist immer fehlerbehaftet.

Zentrale Anforderung an den Digital Twin ist der Zugriff auf die „Kerndaten“ in ihrer „atomaren“ Form. (siehe Whitepaper) Dazu müssen wir wegkommen vom File-basierten Product Lifecycle Management hin zu einem granularen Zugriff auf alle Informationsobjekte im Produktentwicklungsprozess. Zu bestimmten Baselines einen Haufen von Dokumenten einzufrieren, mag vielleicht die Audit-Fähigkeit verbessern, macht aber noch keinen Digital Twin.

Die Entwickler brauchen die Zusammenhänge zwischen einzelnen Objekten, z.B. um zu verstehen, welche Auswirkungen die Änderung einer Anforderung auf eine bestimmte Funktion, die Kosten, den Fertigungsprozess etc. hat. Es hilft ihnen nichts zu wissen, welcher Schaltplan betroffen ist, weil in einem einzigen Schaltplan Hunderte von Funktionen beschrieben sein können. Das wird heute von keinem PLM-Konzept unterstützt, weder technisch noch methodisch. Die Erweiterung des PLM-Konzepts um zusätzliche PLM-Fähigkeiten ist deshalb eine wesentliche Voraussetzung für den Digital Twin und eine der Herausforderungen, die Airbus mit den Shared digital Enterprise Services adressiert.

Die größten Hürden für Digital Twin-Initiativen sind jedoch nicht technischer Natur: Da sind zum einen die „Fürstentümer“ in den Unternehmen mit ihrer eigenen Systembebauung und Methodik, die kurzfristig keinen direkten Nutzen von der Durchgängigkeit über Domänengrenzen hinweg haben. Deshalb sollte die Initiative strategisch von jemandem vorangetrieben werden, der über den Domänen steht. Hinzu kommt, dass heute viele Unternehmen viel Geld mit dem Service verdienen. Ein Digital Twin, der dazu führt, dass die Kunden weniger Service-Leistungen benötigen, ist in gewisser Weise kontraproduktiv. Ein Hauptproblem für die Durchgängigkeit von der Entwicklung bis in den Betrieb ist der Eigentümerwechsel des physischen Produkts. Er führt dazu, dass der Hersteller nicht mehr oder nur noch bedingt an die Betriebsdaten herankommt, um daraus Erkenntnisse über das Produktverhalten zu gewinnen.

Das Problem lässt sich elegant dadurch lösen, dass Sie Ihre Produkte als Service anbieten. Aber solange sollten Sie mit Ihrer Digital Twin-Initiative vielleicht nicht warten. Wir empfehlen Ihnen, so bald wie möglich konkrete Vorhaben mit einem geschäftlichen Mehrwert anzugehen. PROSTEP kann sie dabei sehr effektiv unterstützen. Wir verfügen über die nötigen Skills und reichlich Erfahrung bei der Umsetzung des Digital Twin-Konzepts in unterschiedlichen Branchen.

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