Der digitale Zwilling gilt als einer der Schlüsselkonzepte von Industrie 4.0. Dahinter verbirgt sich ein ganzes Konglomerat an vielversprechenden Use Cases, zum Beispiel die virtuelle Inbetriebnahme einer Anlage oder Anlagenteile oder als Grundlage von Planung von Wartungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Diese Anwendungsbeispiele haben das Zeug dazu, zu Business Cases zu mutieren, sprich: der gewonnene Nutzen übertrifft die notwendigen Aufwendungen. Gerade in der Fabrikplanung und im Großanlagenbau wird dem digitalen Zwilling großes Potenzial bescheinigt.
Allerdings besteht die Crux bisher darin, in den Laserscan-Punktwolken jene Objekte zu identifizieren, die für die Planung von Neubauten oder sonstiger Maßnahmen dienlich sind. Aktuell werden die Punktewolken dazu als "Vorlage" in die CAD-Systeme geladen, um ausgehend davon das Rohrsystem manuell zu modellieren. Das ist sehr Hardware-ressourcenintensiv, zeitaufwändig und damit teuer.
Die PROSTEP AG geht gemeinsam mit Schuller & Company nun einen innovativen Weg, in dem Methoden der künstlichen Intelligenz zum Einsatz kommen. Johannes Lützenberger von PROSTEP hat über den Stand der aktuellen Entwicklungen auf dem vergangenen DACH User Meeting 2023 von Schuller & Company am Frankfurter Flughafen berichtet.
Anlagen verändern sich ständig
Der Lebenszyklus einer Anlage besteht vereinfacht gesprochen aus mindestens drei Phasen. Ausganspunkt ist die Planungsphase (As-designed-Status). Nach dem Errichten der Anlage sind die Daten aus der Planung nicht mehr deckungsgleich mit dem, was auf der Baustelle entstanden ist (As-built-Status). Dann kommt es während der Betriebsphase mit all den MRO-Aktivitäten zu Umbau und Anpassungsmaßnahmen (MRO: Maintenance / Repair / Overhaul). Dabei wird nicht alles digital dokumentiert. Allerdings sollte zu bestimmten Zeitpunkten ein genauer Kenntnisstand über die Situation vor Ort vorliegen, etwa weil eine Modernisierung und damit ein Umbau der Anlage stattfinden soll.
Um die Wissenslücke zu schließen, werden Laserscans im Bereich der anstehenden Veränderung aufgenommen. Über die resultierende Punktwolke lässt sich bereits mit bloßem Auge erkennen, wie die Anlage aktuell aussieht.
Bei der Nutzung von Bilderkennungssoftware gilt es zu bedenken, dass es einen (erheblichen Unterschied) zwischen der 2D-Bildkennung und der 3D-Objekterkennung innerhalb einer räumlich ausgedehnten Punktwolke gibt: Bei Bildpunkten gibt es einen linearen Zusammenhang zwischen benachbarten Pixeln, im Scan steht jeder Punkt für sich alleine.
Anwendungsbeispiel Kraftwerk
Auch beim Ansatz von PROSTEP und SCHULLER & Company ist der Input die Punktwolke. Im ersten Schritt wird die Datenmenge reduziert, damit das Datenvolumen handhabbar wird. Im zweiten Schritt geht es darum, Objekte im Raum zu erkennen. Dies erfolgt in einem zweistufigen Prozess, um der Komplexität der Anlage Herr zu werden. Zu diesem Zeitpunkt sind noch keine Relationen zwischen den einzelnen Laserpunkten vom Algorithmus identifiziert: Noch ist also nicht bekannt, welche Punkte welches Bauteil beschreiben.