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Hilfe für Kinder und Jugendliche, die von Armut betroffen sind

Ein Interview mit Sagithjan Surendra

PROSTEP legt großen Wert auf Vielfalt und Integration, nicht nur im Umgang mit seinen Mitarbeiter*innen, sondern auch mit Blick auf die Gesellschaft. Deshalb unterstützen wir seit diesem Jahr das Aelius Förderwerk e.V. als Fördermitglied und Spender. Aelius setzt sich dafür ein, dass junge Menschen unabhängig von ihrer sozialen und finanziellen Situation ihren Bildungsweg gehen können.

Frage: Herr Surendra, was ist Zielsetzung des Aelius Förderwerks?

Surendra: Unsere ganz grundsätzliche Zielsetzung ist, dass Kinder und Jugendliche unabhängig von ihren sozialen und finanziellen Umständen ihren Weg gehen können. Dabei ist uns völlig egal, welcher Weg das ist, ob Abitur, Berufsausbildung oder eine künstlerische Karriere. Uns ist wichtig, ihnen für ihren Weg Ressourcen, Unterstützung und Ermutigung zu geben und sie dafür zu sensibilisieren, wie wichtig ihre Lebenserfahrungen in der gesamtgesellschaftlichen Debatte sind. Wir wollen sie auch ermutigen, sich politisch oder ehrenamtlich zu engagieren.

Frage: Wie sind Sie auf den Namen des Förderwerks gekommen und was hat er zu bedeuten?

Surendra: Als ich damals darüber nachdachte, wie das Förderwerk aussehen könnte, habe ich nach einem Working Title gesucht und bin auf den Namen Aelius gestoßen. Das ist der Name einer alten plebejischen Familie, die in der römischen Gesellschaft den sozialen Aufstieg geschafft hat. Soziale Mobilität ist einer der Grundgedanken des Förderwerks, aber eigentlich sollte das nur ein vorläufiger Name sein. Er hat sich jedoch so schnell durchgesetzt, dass wir ihn nicht mehr ändern wollten.

Frage: Was hat Sie dazu motiviert, das Förderwerk zu gründen? Waren das persönliche Erfahrungen?

Surendra: Ja. Meine Eltern sind Kriegsflüchtlinge aus Sri Lanka. Ich bin in Nürnberg geboren und aufgewachsen, aber durchaus armutsbetroffen, und war in meiner Familie und in meinem privaten Umfeld einer der Wenigen, die studieren konnten. Ich habe mein Studium durch ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes finanziert bekommen und dadurch erst gemerkt, was es alles für Förderangebote gibt. Das sind tolle Programme, aber ich hätte mir gewünscht, dass sie früher ansetzen und jungen Menschen überhaupt den Hochschulzugang ermöglichen. So ist die Idee für Aelius entstanden.

Frage: Hatten Sie das Gefühl, im deutschen Bildungssystem benachteiligt zu sein?

Surendra: Das kann ich nicht an meiner persönlichen Biografie festmachen, die ja recht gradlinig ist. Aber ich habe es vor allem in meinem Umfeld gemerkt. Obwohl wir alle dieselben Startbedingungen hatten, ist mein Lebenslauf die absolute Ausnahme geblieben. Wir sprechen immer von einem durchlässigen Schulsystem, aber für mich fühlt sich das eher wie ein Lottospiel an. Deutschland ist bildungsungerechter als andere Länder. Bildungsungerechtigkeit ist am Ende ein Symptom sozialer Ungerechtigkeit und der Einkommensverteilung, und die ist in Deutschland vergleichsweise heterogen.

Frage: Aelius ist als gemeinnützig anerkannt. War es schwierig, diesen Status zu erhalten?

Surendra: Das war tatsächlich eine kleine Odyssee. Ich hatte ja auch keine Gründungserfahrung und keinerlei juristische Expertise. Der Sachbearbeiter im Finanzamt sagte mir schnell, dass er ein Stipendienprogramm für Schüler nicht als gemeinnützig anerkennen könne, weil Schulbildung in Deutschland ja kostenlos sei. Vor zwei Jahren hat uns dann eine Anwaltskanzlei geholfen, das durchzusetzen.

Frage: An welche Zielgruppe wendet sich das Förderprogramm?

Surendra: Wir sprechen von benachteiligten Kindern und Jugendlichen und lassen das mit Absicht sehr undefiniert. Die meisten Kinder, die bei uns in der Förderung sind, sind armutsbetroffen. Aber es gibt auch Einzelschicksale. Wir verzichten darauf, Gehaltsnachweise oder sonstige behördliche Unterlagen zu sehen, weil das eine hohe Hemmschwelle für junge Menschen darstellt. In den Kennenlern-Gesprächen können wir mit gezielten Fragen aber sehr schnell auf ihre sozioökonomische Situation schließen.

Frage: Wie fördert Aelius sozioökonomisch benachteiligte Schüler*innen?

Surendra: Unser wichtigster Fördermechanismus ist immer noch das Mentoring-Programm. Wir fördern Kinder ab 14 Jahren, mit denen wir zunächst ein Gespräch zum Kennenlernen führen, in dem es sehr viel um ihre Herausforderungen und Wünsche geht und um die Fragen, die sie gerade bewegen. Auf diesem interessensbasierten Matching basiert dann das Mentoring, d.h. sie bekommen eine Mentorin oder einen Mentor, die/der auf ihre Lebenslage und Interessen zugeschnitten ist. Insgesamt haben wir seit unserer Gründung über alle Förderangebote hinweg über 8.000 Schüler*innen gefördert.

Frage: Sie suchen also gezielt Mentorinnen oder Mentoren für die Schüler*innen, die sich bewerben?

Surendra: Ja, deshalb ist die Matching-Phase auch unterschiedlich lang. Im besten Fall finden wir den oder die Richtige in unserer Datenbank an Ehrenamtlichen, aber es gibt auch oft das Szenario, dass wir vor Ort aktiv auf die Suche gehen. Das dauert dann mal einen Monat länger, aber es lohnt sich bei der Laufzeit. Die Mentor*innen begleiten die Kinder über mehrere Jahre bis sie mit der Schule fertig sind - Minimum sind zwei Jahre, aber unsere durchschnittliche Förderzeit liegt aktuell bei drei bis vier Jahren.

Frage: Wie werden die Mentor*innen auf ihre Rolle vorbereitet? Das ist ja eine große Verantwortung.

Surendra: Genau. Das geht los mit dem Kinderschutz, d.h. Eignungsprüfung, Führungszeugnis und solchen Dingen. Dann gibt es eine Basisschulung, die alle absolvieren müssen, und in denen grundsätzliche Dinge erläutert werden. Wenn das Mentoring dann los geht, gibt es ein modulares Schulungsangebot, aus denen sich die Mentor*innen die Themen heraussuchen können, die sie bzw. ihre Mentees gerade bewegen. Und es gibt ein Coaching-Angebot durch externe Coaches, die unabhängig von Aelius unterstützen.

Frage: Ist die finanzielle Förderung an das Mentoring-Programm gekoppelt?

Surendra: Ja. Wenn die Kinder in das Programm aufgenommen werden, haben sie Anspruch auf die Teilnahme an den Workshops und die finanzielle Unterstützung, die wir gerade aufbauen. Wir übernehmen bildungsbezogene Ausgaben, vom Schulmaterial über Sprachkurse bis zum Internetanschluss. Daneben gibt es die ideelle Förderung - Workshop-Angebote, Sommercamps etc. Das sind meist dreitägige Veranstaltungen, zu denen Kinder aus ganz Deutschland zusammenkommen, weil es uns wichtig ist, ihnen Zugang zu Menschen mit ähnlichen Biografien zu vermitteln. Dieses Peer-to-Peer-Empowerment ist sehr wirksam. Außerdem bieten wir ihnen Beratung. Wir haben ein großes Netzwerk an Ehrenamtlichen, die für kurzfristige Anliegen zur Verfügung stehen. Das kann die Praktikumsbewerbung sein oder der Bafög-Antrag. Zwar endet das Mentoring offiziell mit dem Schulabschluss, aber die Kinder und Jugendlichen können die Beratung auch danach noch in Anspruch nehmen.

Frage: Welche Rolle spielen die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen für Aelius?

Surendra: Das Ehrenamt ist das, was Aelius ausmacht. Wir sind von Ehrenamtlichen gegründet worden, die die Unterstützung, die sie erhalten haben, der nächsten Generation weitergeben möchten. Deshalb sagte ich eingangs, dass es eine unserer wesentlichen Zielsetzungen ist, die jungen Menschen zum zivilgesellschaftlichen Engagement zu ermutigen. Nachdem wir inzwischen schon ein paar Jahre existieren, haben wir viele ehemalige Mentees, die ehrenamtlich bei uns tätig sind und diesen Kreislauf aufrechterhalten. Das ist der wesentliche Grund, warum wir einen so guten Zielgruppenbezug haben und sehr einfach junge Menschen erreichen, die von Armut betroffen sind.

Frage: Das Aelius Förderwerk hat zwei Geschäftsstellen und sieben festangestellte Mitarbeiter*innen. Wie finanziert sich die Organisation?

Surendra: Wir sind im Wesentlichen über Spenden finanziert. Die Spenden stammen sowohl von Privatpersonen als auch von Unternehmen oder Stiftungen, die uns für bestimmte Projekte oder eine bestimmte Laufzeit fördern. Personal und Programm unserer neuen Geschäftsstelle in Thüringen ist z.B. über zwei Stiftungen finanziert, die es gut finden, dass wir unser Angebot in Ostdeutschland erweitern.

Frage: Welche Auszeichnungen haben Sie bzw. das Förderwerk erhalten?

Surendra: Das sind tatsächlich eine ganze Menge. Wir sind mal Bundespreisträger beim Wettbewerb Start Social gewesen. Wir sind von den Vereinten Nationen 2020 mit dem Jugendfriedenspreis für Deutschland ausgezeichnet worden und wir haben den Bayrischen Bürgerpreis erhalten. Dabei will ich es mal belassen.

Frage: Sie haben dieses Jahr in Erfurt eine zweite Geschäftsstelle eröffnet. Warum gerade in Thüringen?

Surendra: Wir haben in unserer Entwicklung gemerkt, dass wir zwar in Metropolregionen sehr aktiv sind, aber weniger Schülerinnen und Schüler im ländlichen Raum erreichen. Gleichzeitig sind das die Räume, in denen junge Menschen mehr Unterstützung brauchen, weil sie eben nicht in einem großen Netzwerk verankert sind. Wir haben uns für Thüringen entschieden, weil es gerade in Ostdeutschland eine relativ hohe Quote an Kindern gibt, die armutsbetroffen aufwachsen. Dazu kommt die Sorge um bestimmte gesellschaftliche und demokratische Entwicklungen, weil wir merken, dass marginalisierte Gesellschaftsgruppen gegeneinander ausgespielt werden.

Frage: Planen Sie, weitere Geschäftsstellen zu eröffnen?

Surendra: Ja. Erfurt ist für uns so etwas wie ein Pilotprojekt, eine Geschäftsstelle, die nicht mehr ein riesiges Programm verwaltet, sondern nur für ein Bundesland da ist. Wir nehmen uns ein Jahr Zeit, um das zu evaluieren, und dann geht es weiter. Bisher läuft es sehr gut.

Frage: Hat die aktuelle Debatte um Migration Auswirkungen auf Ihre Arbeit?

Surendra: Keine unmittelbare, aber sie hat natürlich eine wahnsinnige Auswirkung auf unsere Zielgruppe. Die meisten Kinder, die wir unterstützen, haben eine Migrationsgeschichte. Sie wachsen armutsbetroffen auf und wissen, wie Armut entsteht. Es ist für sie eine schwierige Situation zwischen der gesellschaftlichen Debatte um Bürgergeld, Fleiß etc. und ihrer eigenen Lebensrealität.

Herr Surendra, vielen Dank für das interessante Gespräch.

(Das Interview führte Michael Wendenburg)


Zur Person

Sagithjan Surendra (Jahrgang 1998) ist Vorstandsvorsitzender des Aelius Förderwerks e.V., das er 2017 während seines Studiums zusammen mit einem Freund gründete. Geboren und aufgewachsen ist er in Nürnberg als Kind von Kriegsflüchtlingen aus Sri Lanka. Surendra studierte Molekulare Medizin an der Universität Erlangen und machte anschließend einen Master in Public Policy.

Aktuell ist er hauptamtlich für die politische Kommunikation des SOS-Kinderdorf e.V. verantwortlich. Für sein ehrenamtliches Engagement ist er mehrfach ausgezeichnet worden – unter anderem als „Student des Jahres“ 2020, als „Top Talent unter 25“ und mit dem Engagement-Preis der Studienstiftung des Deutschen Volkes.

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