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Gaia-X hat das Potenzial, das Datenmanagement von Grund auf zu verändern

Ein Interview mit Ulrich Ahle

Gaia-X, die europäische Initiative zur Schaffung interoperabler Datenräume, steht im Ruf, langsam und bürokratisch zu sein. Jetzt hat Ulrich Ahle, der bisherige CEO der FIWARE Foundation, die Leitung übernommen. Er soll die europäischen Akteure stärker koordinieren und die industrielle Nutzung der Datenräume vorantreiben. Im Gespräch mit dem PROSTEP Newsletter erläutert er die Ziele und Potenziale von Gaia-X.

Frage: Herr Ahle, Was ist Ihre wichtigste Aufgabe als neuer CEO der Gaia-X Association und was reizt Sie daran?

Ahle: Ich habe sieben Jahre lang die FIWARE Foundation geleitet. FIWARE ist heute die weltweit führende Open-Source-Technologie, insbesondere für die Digitalisierung im Bereich Smart Cities. Die Foundation hat eine klare Strategie und befindet sich in einem stabilen Fahrwasser, was man vom Gaia-X-Ökosystem noch nicht sagen kann. Es dorthin zu bringen, ist eine Herausforderung, die ich gerne angenommen habe, denn ich liebe Herausforderungen.

Meine wichtigste Aufgabe wird es sein, die unterschiedlichen Akteure, die sich in Europa mit der Schaffung interoperabler Datenräume beschäftigen, enger zusammenzuführen. Es gibt eine ganze Reihe von der Europäischen Union, den Mitgliedsstaaten, aber auch von privaten Unternehmen finanzierten Aktivitäten. In Deutschland ist da insbesondere Catena-X zu nennen, eines der Leuchtturmprojekte von Gaia-X, oder auch das, was jetzt im Bereich Manufacturing-X entsteht. Eines meiner Ziele ist es, diese Aktivitäten stärker zusammenzuführen, denn sie sind teilweise nicht ausreichend aufeinander abgestimmt.

Zweitens geht es darum, einen Lösungsansatz zu definieren, der global akzeptiert und angewendet werden muss, um nachhaltig zu sein. Daher ist es erforderlich, neben den europäischen Cloud-Providern auch mit den globalen Hyperscalern zusammenzuarbeiten.

Frage: Umfragen zufolge kennt die Mehrheit der deutschen Unternehmensführungen Gaia-X nicht. Können Sie kurz erklären, wer oder was Gaia-X ist?

Ahle: Gaia-X ist eine Organisation, die ursprünglich von 11 deutschen und 11 französischen Unternehmen gegründet wurde, um die Rahmenbedingungen und Richtlinien zu definieren und zu implementieren, die es ermöglichen, interoperable Datenräume zu realisieren und zu betreiben. Und das auf der Basis einer föderierten Cloud-Infrastruktur und eines europäischen Wertesystems.

Frage: Was sind die Vorteile dieser Datenräume? Was unterscheidet sie von den bisherigen Formen der Datenkommunikation?

Ahle: Wir haben in den letzten Jahren gerade im PLM-Umfeld digitale Plattformen geschaffen, die es ermöglichen, bekannte Datenquellen und Entwicklungspartner anzubinden. Wir verbinden wenige mit wenigen. Ziel der Datenräume ist es, viele mit vielen zu verbinden, und Mechanismen zu schaffen, um auch vorher nicht bekannte Datenlieferanten und -nutzer ohne manuelles Zutun anbinden und verifizieren zu können. Die Datenräume werden die Vielzahl von Eins-zu-Eins-Verbindung zwischen den Partnern einer Zulieferkette ablösen, indem sie die Möglichkeit schaffen, sich nur einmal an den Datenraum anzubinden und mit allen Partnern zu kommunizieren. Dadurch wird die Komplexität der Datenverbindungen und Schnittstellen deutlich reduziert. Und wir sind z.B. in der Lage, die Abbildung des CO2-Fußabdrucks eines Fahrzeugs – einer der Use Cases von Catena-X – viel einfacher zu realisieren, weil wir alle Partner in einem Datenraum haben.

Frage: Für Außenstehende ist der Aufbau von Gaia-X ein bisschen verwirrend. Es gibt Catena-X, aber auch den Mobility Data Space. Wie spielt das zusammen?

Ahle: Es wäre viel zu komplex, einen einzigen europäischen Datenraum zu schaffen, der alle Branchen und Prozesse abdeckt. Deshalb hat die Data Spaces Business Alliance, ein Zusammenschluss von FIWARE, Gaia-X, IDSA (International Data Spaces Association) und Big Data Value Association, vor zwei Jahren den Rahmen für die Gestaltung interoperabler Datenräume abgesteckt. Der Ansatz sieht vor, dass es für unterschiedliche Branchen unterschiedliche Datenräume geben wird, die aber weitgehend die gleichen technischen Bausteine, Schnittstellen und Datenmodelle nutzen, um interoperabel zu sein.

Aktuell werden auf europäischer Ebene deshalb Datenräume für unterschiedliche Branchen realisiert. Catena-X ist z.B. ein Datenraum speziell für die Automobilindustrie…

Frage: Die deutsche Automobilindustrie…?

Ahle: Catena-X ist zunächst als deutsche Initiative entstanden, wird jetzt jedoch sukzessive globalisiert. Mit Manufacturing-X entsteht ein Datenraum für den Rest der Fertigungsindustrie, der von Anfang als internationale Kooperation aufgesetzt ist. Dann gibt es den Mobility Data Space, der schon sehr früh in einem Pionierprojekt unter Federführung der acatech gestartet wurde und der jetzt auf europäische Ebene ausgedehnt werden soll. In ähnlicher Form gibt es ein gutes Dutzend weitere Initiativen zur Schaffung von Datenräumen für Energiewirtschaft, Smart Cities bzw. Smart Communities, Landwirtschaft und andere Branchen. Wichtig ist, dass sie interoperabel bleiben, denn es wäre fatal, wenn eine Smart Community nicht mit einem Smart Energy Data Space kommunizieren könnte.

Frage: Im letzten Jahr hat die Bundesregierung bereits bewilligte Fördermittel wieder gestrichen. Geht Gaia-X das Geld aus?

Ahle: Dass die Mittel wieder gestrichen wurden, ist nicht ganz richtig. Es sind im letzten Jahr Förderaufrufe veröffentlicht und Projekte für die Förderung ausgewählt worden, von denen die erste Welle die Förderung auch erhalten hat, z.B. ein Cluster von vier Mobility Data Space-Projekten. Es waren aber noch weitere Projekte für die Förderung vorgesehen, für die dann nicht mehr ausreichend Haushaltsmittel zur Verfügung standen. Das hat für Frust und Verunsicherung gesorgt. Aber wenn wir jetzt sehen, dass allein für Manufacturing-X 150 Millionen Euro vorgesehen sind, dann sieht man ganz klar, dass die Bundesregierung weiterhin auf Gaia-X setzt.

Frage: Gaia-X stand lange in der Kritik, zu langsam und zu bürokratisch zu sein. Forrester sagte sogar, das Projekt habe keine Zukunft. Ist diese Kritik berechtigt?

Ahle: Der Aufsichtsrat hat die Kritik verstanden und entschieden, einiges anders zu machen. Das ist unter anderem der Grund, warum ich zu Gaia-X gewechselt bin, um das, was uns bei FIWARE erfolgreich gelungen ist, auch hier zu umzusetzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Gaia-X wirklich das Potenzial hat, zu einem Game Changer im Datenmanagement zu werden. Sonst hätte ich diese Herausforderung nicht angenommen.

Frage: In der Öffentlichkeit ist der falsche Eindruck entstanden, Gaia-X solle der neue europäische Hyperscaler werden. Das war aber eigentlich nie das Ziel, oder?

Ahle: Nein, es war nie die Zielsetzung der Organisation, selbst Cloud-Services anzubieten und Datenräume zu betreiben. Vielmehr soll sie die Rahmenbedingungen und Architekturen definieren, um Interoperabilität und föderierte Cloud-Strukturen zu ermöglichen, und das dann gemeinsam mit den europäischen Cloud-Anbietern umsetzen. Es ging um Konzepte, wie man in einer Umgebung mit mehreren Cloud-Anbietern zusammenarbeiten und sie auch relativ einfach wieder austauschen kann, um den Vendor-Lock-In zu vermeiden.

Frage: Steht die Mitwirkung von globalen Hyperscalern wie AWS oder Microsoft, von denen man sich eigentlich emanzipieren will, nicht im Widerspruch dazu?

Ahle: Nein, ich halte das nicht für einen Widerspruch. Es geht um die Einhaltung von Rahmenbedingungen wie Data Governance Act, Data Act und um das, was bei uns DSGVO heißt. Das sind die Rahmenbedingungen um solche Datenräume basierend auf einem europäischen Wertesystem zu definieren. Wir sind aber offen dafür, dass die Hyperscaler mitarbeiten, wenn sie diese Bedingungen akzeptieren. Und wir sehen ja bei einigen, dass sie sich in diese Richtung bewegen. AWS hat vor kurzem angekündigt eine European Sovereign Cloud anzubieten.

Frage: Sie sprechen von einem europäischem Wertesystem. Was heißt das bezogen auf Datenräume?

Ahle: Es geht im Wesentlichen um Datensouveränität, d.h. dass der Datenerzeuger in der Lage ist, zu bestimmen und technisch zu erzwingen, was jemand, der Zugriff auf seine Daten hat, damit machen darf und kann. Wichtig ist für mich aber auch, dass Open Source und geteilte Daten nicht automatisch heißt, dass die Daten kostenlos sind. Daher haben wir in unseren Konzepten auch Mechanismen für die Daten-Monetarisierung, was im Übrigen sehr wichtig ist für den nachhaltigen Betrieb von Datenräumen.

Frage: Es ist sicher auch wichtig, um die Unternehmen von den Vorteilen des Daten-Sharings zu überzeugen?

Ahle: Die Datenräume haben zwei wesentliche Nutzenaspekte: Das eine ist, dass sie das Datenmanagement deutlich vereinfachen, nicht notwendigerweise innerhalb der Organisation, aber immer dann, wenn ich meine Daten mit anderen Organisationen teilen muss. Dadurch spare ich Kosten für das Datenmanagement.

Das zweite ist, dass ich Möglichkeiten schaffe, um mit Daten Geld zu verdienen. Ein schönes Beispiel ist die Nutzung der Sensoren von Premium-Fahrzeugen, die autonom einparken können, für die Erfassung freier Parkplätze. Die Informationen werden den Betreibern von Smart Parking-Lösungen im Mobility Data Space kostenpflichtig zur Verfügung gestellt. Ohne den Datenraum müsste der Fahrzeughersteller mit jeder Stadt, die den Service nutzen will, eine kommerzielle Vereinbarung treffen und sich an deren Smart Parking-Lösung technisch anbinden.

Frage: Ist das schon eine tatsächlich existierende Anwendung oder noch ein Pilot?

Ahle: Das ist eine reale Anwendung, aber ich bin da ganz ehrlich: Wir stehen, was die industrielle Nutzung von Datenräumen angeht, noch ganz am Anfang.

Frage: Sie waren im November auf dem diesjährigen Gaia-X Summit. Haben Sie in Alicante den Eindruck gewonnen, dass Gaia-X endlich Fahrt aufnimmt?

Ahle: Ja, in Alicante ist deutlich geworden, dass Gaia-X Realität ist. Wir hatten Oliver Ganser, den CEO von Catena-X, gleich in unserer Eröffnungssession auf der Bühne, und wir haben mit dem Agdatahub einen Datenraum für die Digitalisierung der Landwirtschaft vorgestellt, der in Frankreich entsteht. Beide Lösungen existieren nicht nur als Konzept, sondern sind implementiert und laufen. Sie basieren auf dem Gaia-X Clearing House, das die Interoperabilität ermöglicht und die Funktionalität bereitstellt, um die Teilnehmer zu identifizieren und zu validieren. Es gibt mittlerweile drei Anbieter von Gaia-X Digital Clearing Houses, die durch die Organisation akkreditiert sind. Unter anderem gehört die T-Systems dazu.

Frage: Einige Cloud-Anbieter haben Gaia-X verlassen und die europäische Cloud-Allianz EUCLIDIA gegründet. Ist das ein ernstzunehmender Mitbewerber?

Ahle: Wie eingangs erwähnt, ist eine meiner Zielsetzungen, insbesondere die europäischen Player zusammenzuführen. Das gilt auch für EUCLIDIA. Wir müssen die Kräfte bündeln, statt unkoordiniert oder im Zweifelsfall sogar gegeneinander zu arbeiten. Das ist eine Riesenaufgabe, und ich verstehe die Ungeduld, insbesondere derjenigen, die Geld in Gaia-X investiert haben. Aber es braucht auch ein bisschen Zeit, die Dinge zu gestalten und die Akteure zusammenzuführen.

Herr Ahle, wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei dieser Aufgabe.
(Das Interview führte Michael Wendenburg)


Zur Person

Ulrich Ahle (Jahrgang 1962) ist seit 1. November 2023 CEO der Gaia-X Association (AISBL), die sich die Schaffung interoperabler Datenräume zum Ziel gesetzt hat. Vorher leitete er sieben Jahre lang die FIWARE Foundation. Ahle begann seine berufliche Karriere nach einer Ausbildung zum Werkzeugmacher beim Automobilzulieferer Hella und dem Maschinenbaustudium an der Universität Paderborn bei der Nixdorf Computer AG. Danach war er in verschiedenen Führungspositionen bei Siemens Business Services tätig und leitete bei IT-Dienstleister ATOS lange Zeit das Beratungs- und Systemintegrationsgeschäft für die Kunden in Fertigungsindustrie, Handel und Transportation in Deutschland. Ahle war 16 Jahre lang im Vorstand des prostep ivip-Vereins und ist Gründer und Vorstandsmitglied  der International Data Spaces Association.

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