Frage: Wofür braucht SEAT einen CIO oder, anders gefragt, wie viele Freiheiten hat die Konzerntochter bei der Definition der IT-Strategie?
Radon: Die IT bei SEAT ist fest eingebunden in die Group IT von Volkswagen. Wir definieren die Strategie mit und übernehmen an der einen oder anderen Stelle sogar den Lead. Wir übernehmen Services von den Kollegen von Audi oder Volkswagen genauso wie sie Services von uns übernehmen. Trotzdem braucht man eine lokale IT-Verantwortung, um auf die Spezifika der Märkte eingehen zu können. Personalsysteme oder Vertriebskanäle sind in Spanien schon ein bisschen anders als in Deutschland und dann gibt es auch noch ein Werk, in dem viele Autos gebaut werden und das sicher laufen muss. Man braucht jemanden, der sich vor Ort um die IT kümmert, gerade wenn man wie in der Pandemie plötzlich innerhalb einer Woche die gesamte IT-Infrastruktur aufrüsten muss, damit von heute auf morgen über 6.000 Mitarbeiter von zu Hause aus wie gewohnt weiterarbeiten konnten.
Frage: Wie wirkt sich der Umbau der Konzern-IT auf SEAT und CUPRA aus?
Radon: Wir definieren gemeinsame Systemlandschaften oder Plattformen, um ein Wort zu gebrauchen, das gerade sehr populär ist. Dafür ist unser Unternehmen bei den Fahrzeugen recht bekannt. Es gibt aber auch in der IT eine Plattformstrategie. Da sind wir gerade recht prominent mit DPP, unserer Digitalen Produktionsplattform unterwegs, die wir gemeinsam mit AWS und anderen Partnern entwickeln und die alle Fahrzeuge produzierenden Werke verknüpfen soll. Auch da gilt, dass man sie auf die individuellen Werke mit ihren Legacy-Systemen anpassen muss. In gleicher Weise wird es eine globale Engineering-Plattform geben, die wir mitgestalten, indem wir unsere speziellen Anforderungen einbringen.
Frage: Heißt das, dass SEAT in Entwicklung und Produktion die gleichen IT-Plattformen nutzt wie der Konzern?
Radon: In erster Näherung ja, aber es gibt immer Besonderheiten, die sich werksseitig z.B. aus der Historie ergeben, und es gibt auch immer Innovationen, die zuerst bei uns ausprobiert und dann gegebenenfalls skaliert werden. Die Basis aber ist sehr stark vereinheitlicht. KPDM CONNECT und das alte Arbeitspferd KVS werden in Matorrell genauso eingesetzt wie in Wolfsburg und das übrigens mit vielen deutschen Begriffen. Die Frührunde heißt auch in der SEAT-Sprache Frührunde.
Frage: Wo besteht bei SEAT der größte Digitalisierungsbedarf und wo haben die Spanier die Nase vorn?
Radon: Die Nase vorn haben wir sicher bei der Digitalisierung der Mobilität. Wir haben seit anderthalb Jahren unsere eigene Mobilitätslösung im Werk, d.h. es gibt keine Fahrzeuge für die Abteilungen mehr. Die Mitarbeiter können über die eigenentwickelte Plattform GIRAVOLTA und eine entsprechende App schlüssellos auf einen Pool von Fahrzeugen zugreifen. Das kann ein SEAT, ein CUPRA oder einer der Elektroscooter von SEAT MÓ sein, aber auch unser sogenannter ByBus, eine Art Shuttle on Demand Service, der mehrere Leute von Station zu Station fährt. Die Kollegen in Wolfsburg wollen die Mobilitätslösung jetzt übernehmen.
Frage: Und wo hinkt SEAT noch ein bisschen hinterher?
Radon: Wir entwickeln unsere IT-Strategie entlang von zwei Dimensionen der Digitalisierung. Eine davon ist die digitale Transformation und der Aufbau neuer Geschäftsmodelle, die nichts mehr mit dem Verkauf von einzelnen Fahrzeugen zu tun haben. Die zweite ist die digitale Optimierung, bei der es um die Digitalisierung unserer internen Prozesse geht. Ich kenne zwar bei SEAT keinen Prozess, der nicht digital wäre, aber es gibt immer noch eine Menge Systembrüche. Für mich bedeutet Digitalisierung die durchgängige Nutzung der digitalen Informationen end to end. Da haben wir sicher nicht nur bei SEAT, sondern in der ganzen Industrie noch Nachholbedarf.
Frage: Welchen Stellenwert hat in Ihrer Strategie das klassische PLM-Thema?
Radon: Es hat sicher einen sehr hohen Stellenwert. Die Absicherung der Fahrzeuge findet heute im Wesentlichen virtuell statt, und da ist PLM die Grundlage. Aber auch wenn man ein Stückchen weiterdenkt, z.B. an die Digitalisierung der Produktion, ist PLM hilfreich. Eines meiner Steckenpferde aus meinem alten Job ist die Überwachung der Qualität in der Produktion oder Logistik mit Hilfe von Kameras. Man kann die PLM-Daten nutzen, um die indizierten Bilder, die man für die Auswertung mit Hilfe der Artificial Intelligence benötigt, künstlich zu erzeugen. Dadurch spart man sich die manuelle Indizierung von Tausenden von Bildern.