Weimer: Wir haben da eine lange Reise hinter uns bis zu unserem heutigen PLM-Verständnis, vom Produktdatenmanagement über die Gesamtheit der Engineering-Tools, mit denen wir unsere Produktentwicklung unterstützen, bis zur Idee des modellbasierten Unternehmens. Was wir heute PLM nennen ist wirklich ein integrierter und modellbasierter Ansatz für Design, Manufacturing und Services. Wir beschreiben nicht nur unsere Produkte in Modellen, sondern haben auch Modelle über unseren industriellen Prozess und die Support- und Service-Prozesse. Die Herausforderung besteht also darin, die Trade-Offs über alle diese Disziplinen hinweg darzustellen. Bei jeder Produktveränderung müssen wir zum Beispiel sehen können, wie sich das auf den industriellen Prozess auswirkt und welche Auswirkungen das auf Support und Service und auf meine Kunden hat. Diese Analyse führen wir auf der Basis von Modellen und Simulationen durch.
Frage: Wie wirkt sich Corona auf die PLM-Strategie und laufende Initiativen aus?
Weimer: Die Corona-Krise betrifft die Luftfahrt natürlich besonders stark. Das ist für unsere Branche eine dramatische Situation, weshalb sie sich auf das Wesentliche konzentriert. Die Krise ist aber auch eine Gelegenheit für PLM und digitale Transformation, wie ich das schon an anderer Stelle gesagt habe, weil sich durch den Rückgang der Aktivitäten in bestimmten Bereichen die Kosten für die Transformation reduzieren, was Freiräume schafft, und wir Zugang zu Ressourcen haben, die uns vorher vielleicht nicht zur Verfügung standen.
Frage: Lässt sich die PLM-Strategie von Airbus in wenigen Sätzen beschreiben?
Weimer: Wir haben eine enorme Vielfalt von rund 3.000 Werkzeugen rund um PLM, was eine extreme Komplexität und extreme Integrationsprobleme bedeutet. Sie führt dazu, dass unsere Prozesse noch nicht besonders durchgängig sind. Während wir in der Vergangenheit einen Best-of-Breed-Ansatz für jede Fähigkeit verfolgt haben, denken wir heute, dass diese Komplexität die Innovationskraft mindert und nicht kostenoptimal ist. Deshalb ist unsere gegenwärtige Vision, mehr zu integrierten Plattformen zu kommen, weshalb wir mehrere Partnerschaften eingegangen sind. So arbeiten wir beispielsweise mit Palantir zusammen, um Datenanalyse und digitalen Produkt-Zwilling in der Airbus-Plattform Skywise zusammenzuführen und unseren Kunden als Produkt zur Verfügung zu stellen. Außerdem sind wir eine strategische Partnerschaft mit Dassault Systèmes eingegangen. Unsere Vision ist es, 3DEXPERIENCE als Kollaborationsplattform für digitales Design, Fertigung und Dienstleistungen zu etablieren, um zu stärker integrierten, modellbasierten und datengesteuerten Prozessen zu gelangen. Dann gibt es Funktionen für verschiedene Disziplinen, die durch 3DEXPERIENCE orchestriert werden. Das können proprietäre Funktionen oder Funktionen von Drittanbietern sein, z.B. für das Konfigurationsmanagement, die von den kommerziellen Lösungen heute nicht effizient unterstützt werden.
Frage: Was bedeutet die strategische Partnerschaft mit Dassault Systèmes für die anderen PLM-Systeme, die bei Airbus im Einsatz sind?
Weimer: PLM ist eine lebenslange Reise und über die Jahre gab es immer wieder Gelegenheiten, mit verschiedenen Partnern zusammenzuarbeiten. So wurde z.B. Windchill Anfang 2000 als PDM-Plattform für die gesamte Airbus-Gruppe ausgesucht und spielt weiterhin eine wichtige Rolle. In ähnlicher Weise haben wir Aras eher als Nischenlösung an der PLM-Peripherie ausgewählt, um die Kreativität in unserem Geschäft besser steuern zu können. Schließlich entwickeln wir viele Werkzeuge und Lösungen zur Prozessautomatisierung intern, z.B. für Strukturtests, Aerodynamiksimulation usw.
Frage: Wie viele unterschiedliche PLM-Architekturen gibt es bei Airbus? Für jedes Flugzeugprogramm eine?
Weimer: Das wäre zu stark vereinfacht. Jedes Mal, wenn wir ein neues Produktprogramm auf den Markt bringen, haben wir die Möglichkeit, in Innovation und digitale Prozessverbesserungen zu investieren. Wir haben in den 80er Jahren mit dem A320-Programm mit integriertem Produktdatenmanagement begonnen, dann haben wir in den 90er Jahren mit dem A330 / A340-Programm zusätzlich zum PDM erstmals den digitalen 3D-Mock-up eingeführt. Anfang 2000 kam dann die A380, wo wir mit dem 3D-Modell als Master und integrierten Prozessen für das Konfigurationsmanagement arbeiteten. Danach folgten A400M, A350 und andere Entwicklungen, die den Weg zu modellbasierten und digital integrierten Prozessen vertieften. PLM-Architekturen entwickeln sich von einem Programm zum anderen erheblich weiter, um unsere digitale Transformation voranzutreiben, aber es gibt immer Elemente, die wiederverwendet werden, um unsere vergangenen Investitionen zu nutzen und das Risiko für das nächste Programm zu reduzieren.