Frage: Brauchen wir vielleicht so etwas wie ein Meta-PLM-System, das die Informationen aus den unterschiedlichen Datensilos verlinkt?
Göbel: Im Prinzip ja, aber bitte nicht starr! Ein solches Meta-PLM muss mit der zunehmenden Dynamik interner Organisationsstrukturen und der Wertschöpfungsnetze Schritt halten. Wir arbeiten z.B. in dem gerade frisch gestarteten BMBF-Projekt AKKORD mit Unternehmen verschiedener Industrien an einer intelligenten Datenvernetzung im Produktlebenszyklus. Dabei versuchen wir, neben PLM auch ERP, CRM und weitere Systeme flexibel einzubeziehen und KI-basierte Produktdatenanalysen durchzuführen, z.B. um auf der Grundlage von Qualitätsdaten bereits in der Entwicklung zukünftiger Produkte mögliche Fehlerquellen auszuschließen und Kosten vorherzusagen.
Frage: Der Lehrstuhl VPE steht wie kein anderer für die Weiterentwicklung des PLM-Begriffs in Richtung SysLM. Mit welchem Begriff können Sie sich mehr identifizieren?
Göbel: Wichtiger als die Begrifflichkeiten selbst, die ohnehin nicht einheitlich verwendet werden, sind für mich die Inhalte hinter den Begriffen. Wir werden PLM in Richtung der angesprochenen Aspekte weiterentwickeln und teilweise auch grundlegend neu denken müssen! Der Begriff SysLM trägt im Wesentlichen dem interdisziplinären Systemgedanken Rechnung, der mehr und mehr an die Stelle der traditionellen Produktvorstellung tritt. Insofern beschreibt dieser Begriff einen wichtigen Teil dieser Weiterentwicklung. Aber es ist nicht die einzige Entwicklungsrichtung von PLM, an der wir gerade arbeiten.
Frage: Wo werden Sie künftig die Akzente und Forschung und Lehre setzen? Bleibt MBSE ganz oben auf dem Lehrplan?
Göbel: MBSE bleibt eines unserer zentralen Themen, besonders als „Enabler“ des Smart Engineerings. Wir befassen uns z.B. gerade in einem großen interdisziplinären Forschungsvorhaben mit dem wissensbasierten Roadmapping und der Wertschöpfungsketten-übergreifenden Modellierung von Gesamtsystemarchitekturen in ganz frühen Innovationsphasen der Automobilindustrie. Vor einigen Wochen wurden wir als eine der ersten deutschen universitären Forschungsstellen in das SysML v2 Submission Team (SST) der OMG aufgenommen, um die nächste Generation von SysML mitzugestalten. Die Ergebnisse aus unseren Forschungsaktivitäten bringen wir aktuell in ein neues, Fachbereichs-übergreifendes Studienmodul Smart Systems Engineering ein, das wir gemeinsam mit Kollegen der Informatik und der Elektrotechnik im kommenden Wintersemester anbieten werden. Um den Nutzen unserer Forschungsergebnisse greifbar und diese für industrielle Unternehmen zugänglich zu machen, haben wir im vergangenen Juli das Demonstrator- und Erprobungslabor e4lab (engineering 4.0 lab) in Kaiserslautern eröffnet. Dies sind nur einige Beispiele, es werden noch viele folgen. Lassen Sie sich überraschen!
Frage: Im Oktober findet in Kaiserslautern die digitized engineering conference SYSLM2019 statt. Warum hat man den Namen der Veranstaltung geändert?
Göbel: Wir arbeiten am VPE seit der Gründung des Lehrstuhls durch Prof. Dankwort im Jahr 1994 an der Digitalisierung des Engineerings, also seit nunmehr 25 Jahren. Ich glaube, dass der Name diese übergreifende Grundidee ganz treffend wiedergibt und gleichzeitig unsere heutigen Kernthemen betont. Wir möchten den Blick in Zukunft noch stärker nach vorne richten auf visionäre, aber industriell relevante Ansätze und Trends, um den Teilnehmern eine Orientierung zu geben und einen inspirierenden Dialog über die Zukunft des digitalen Engineerings anzuregen. Ich freue mich sehr auf unser diesjähriges Programm, das angesichts der hochkarätigen Beiträge, übrigens auch mit Beteiligung der Prostep AG, ideale Voraussetzungen hierfür bietet.
Herr Göbel, wir danken Ihnen für das Gespräch.
(Das Interview führte Michael Wendenburg.)