Der Digital Twin stand deshalb lange im Mittelpunkt vieler Digitalisierungsinitiativen. Umso mehr erstaunt es mich, wie ruhig es in den letzten Monaten um die digitale „Sau“ geworden ist, die vor der Corona-Pandemie von allen namhaften PLM-Herstellern durchs Dorf getrieben wurde. Das Thema ist auf Gartners Hype Cycle ins „Tal der Tränen“ abgerutscht. Das mag damit zusammenhängen, dass die Unternehmen mit den klassischen Entwicklungsmethoden und -Tools kaum noch in der Lage sind, die enorme Produktkomplexität in einem Digital Twin abzubilden.
Smarte Produkte enthalten sehr viel Software und Elektronik, die oft systemrelevante Funktionen übernehmen und deshalb als Teil des Digital Twins betrachtet werden müssen. Das erfordert eine domänenübergreifende Sicht auf die Dinge, die in vielen Unternehmen schon durch die unterschiedlichen Prozesse der einzelnen Domänen behindert wird. Außerdem fehlt ihnen der sprichwörtliche roten Faden, der alle diese Informationen über den gesamten Produktlebenszyklus zusammenhält und ihre Entwicklungsgeschichte nach- bzw. rückverfolgbar macht. Man spricht hier auch vom Digital Thread als Enabler der Traceability. Er ist zwingende Voraussetzung für den Digital Twin, oder wie Peter Bilello, Chef der Marktforschungsfirma CIMdata einmal gesagt hat: „Ohne Digital Thread bleibt der Digital Twin ein Waisenkind“.
In der heilen IT-Welt eines einzelnen IT-Herstellers ließe sich dieser digitale rote Faden vielleicht noch mit vertretbarem Aufwand spinnen. Aber die Welt in den meisten Unternehmen und vor allem bei den großen Automobilherstellern ist nicht „heil“, sondern höchst heterogen, und daran wird sich auch künftig nichts ändern. Infolgedessen müssen die Anwendenden einen erheblichen Aufwand treiben, um zu bestimmten Meilensteinen alle relevanten Informationen zusammenzutragen und die Rückverfolgbarkeit der Entwicklungsprozesse- und e-ergebnisse sicherzustellen.