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Kein Digital Twin ohne digitale Durchgängigkeit

Von Lars Wagner

Digital Twins bieten die Möglichkeit, das Verhalten von physischen Assets zu simulieren, sie im laufenden Betrieb zu überwachen und kontinuierlich zu verbessern. Die Daten und Modelle aus der Planung und Entwicklung bilden den Kontext, in dem die Betriebsdaten korrekt interpretiert werden können. Sie aus der Menge an verfügbaren Informationen zusammenzustellen, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Einsatz von Digital-Twin-Anwendungen.

Unter dem Digital Twin versteht man das digitale Abbild eines physischen Objekts oder Systems, das ein Produkt, eine Produktionsanlage, aber auch ein Unternehmen oder ein Prozess sein kann. Der Digital Twin verbindet virtuelle Planungs- und Entwicklungsmodelle mit der realen Produkt- bzw. Produktionswelt, um den Menschen einen besseren Einblick in das System und dessen Zustand bzw. Verhalten zu geben. Eine Vision im Sinne von Industrie4.0 ist es, dass sich technisch komplexe Systeme durch digitale Algorithmen, virtuelle Modelle und Zustandsinformation autonom steuern und intelligenter verhalten können.

Die funktionalen Zusammenhänge eines Produkts oder einer Produktionsanlage werden ausgehend von den Kundenanforderungen und unter Berücksichtigung einer Vielzahl an gesetzlichen Vorgaben in der Produktplanung und -entwicklung festgelegt. Ohne Kenntnis dieser Zusammenhänge lassen sich die Betriebsdaten, die das reale Asset in seinem späteren Produktleben erfasst und bereitstellt, nicht korrekt interpretieren. Wenn man nicht weiß, wie eine Maschine oder Anlage eigentlich funktionieren soll, kann man die Ursachen von Abweichungen von diesem Sollzustand bzw. -verhalten nicht zweifelsfrei identifizieren und entsprechende Gegenmaßnahmen treffen. Die Kenntnis der Entstehungsgeschichte ist zugleich wichtig, um beurteilen zu können, aus welchem Grund z.B. ein Lager ausgefallen ist und welche anderen Maschinen ebenfalls von dem Problem betroffen sein könnten.

Diese Verbindung zwischen dem realen Asset und den Entwicklungs- und Planungsmodellen, die seine Entstehungsgeschichte beschreiben, wird als Digital Thread bezeichnet. Es ist der digitale „rote Faden“, der die Informationen einer realen Produktinstanz prozess- und IT-systemübergreifend miteinander verknüpft. Dies ermöglicht zum einen, alle Informationen aus dem Lebenszyklus der Produktinstanz bzw. des realen Assets zusammenzuführen und bildet so die Grundlage für die Entstehung eines Digital Twins. Ohne Digital Thread kann man den digitalen Zwilling manuell nachbauen, aber nicht oder nur schwer auf dem aktuellen Stand halten. Zum anderen ermöglicht die Rückverfolgbarkeit entlang des Digital Threads, Entscheidungen in der Entwicklung und Fertigung zu hinterfragen und mit Hilfe der Betriebsdaten Optimierungspotenziale zu identifizieren.

Management der Produktkonfigurationen

Aus PLM-Sicht ist der Startpunkt des digitalen Zwillings eine bestimmte Konfiguration des Produkts oder Produktionssystems, zum Beispiel das Asset im ausgelieferten Zustand. Dazu gehören nicht nur Mechanik-, Elektrik/Elektronik- und Software-Komponenten mit deren Modellen, sondern vielleicht auch servicerelevante Informationen, wie z.B. die Lebensdauer bestimmter Komponenten. Diese Informationen manuell zusammenzuführen und zu pflegen, ist auf-wendig und fehleranfällig, zumal sich die Konfiguration im Laufe des Produktlebens verändert, sei es durch Software-Updates oder andere Maßnahmen im Rahmen der Wartung oder Weiterentwicklung des Assets. Die Erwartung an heutige PLM-Systeme ist, die Konfiguration für den Digital Twin automatisch ausleiten und aktuell halten zu können.

Wir sprechen hier vom Konzept des Configuration Lifecycle Managements (CLM), das es ermöglicht, zeitlich gültige Sichten auf das Produkt über IT-Systemgrenzen hinweg zu erzeugen und die Produktkonfigurationen über alle Phasen des Produktlebenszyklus hinweg zu managen. Wesentliche Funktion von CLM soll sein, die verschiedenen Sichten auf das digitale Produktmodell im Laufe des Lebenszyklus zu erzeugen, konsistent zu halten und ihre zeitliche Gültigkeit zu dokumentieren. Dazu bedient es sich system- und disziplinübergreifender Baselines. Diese Baselines dokumentieren den Zustand der Konfiguration zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Reifegrad und steuern damit auch die Repräsentation des Digital Twin. Sie versetzen Unternehmen in die Lage, zu jedem Zeitpunkt im Prozess sofort und zuverlässig die Frage zu beantworten, ob und wie das Produkt oder Asset die an dieses gestellten Anforderungen erfüllt oder in welchem Zustand das Asset zu einem definierten Zeitpunkt war, zum Beispiel welche Produktkonfiguration an den Kunden ausgeliefert wurde.

Um die Konfiguration eines Produkts entlang des gesamten Lebenszyklus nachvollziehbar zu verwalten, ist der Einsatz einer leistungsfähigen PLM-Integrationsplattform mit Konnektoren zu allen beteiligten IT-Systemen erforderlich. Als IT-systemübergreifende Zwischenschicht schafft sie die Voraussetzung dafür, die Informationen aus den einzelnen IT-Systemen in einer dem Digital-Thread-Konzept entsprechenden Weise zusammenzuführen.

Unternehmensübergreifende Collaboration

In Branchen wie dem Maschinen- und Anlagenbau oder dem Schiffbau stehen die Unternehmen vor der Herausforderung, dass der Hersteller, der den Digital Twin aufbaut und bereitstellt, nicht notwendigerweise der Betreiber und Nutzer ist, der ihn mit Betriebsdaten füttert. Sowohl die digitalen Daten als auch die Betriebsdaten oder zumindest ein Teil davon müssen also unternehmensübergreifend ausgetauscht und synchronisiert werden, um den digitalen Zwilling auf dem aktuellen Stand zu halten und die Betriebsdaten für die kontinuierliche Verbesserung der realen Asset nutzen zu können. Fragen wie Datensicherheit, Schutz des geistigen Eigentums und Eigentümerschaft der Daten spielen deshalb bei Aufbau und Nutzung einer Digital-Twin-Anwendung eine ganz zentrale Rolle.

Immer mehr Kunden verlangen heute von ihren Lieferanten, dass sie zusammen mit den physischen Assets digitale Daten und Modelle für die Unterstützung von Digital Twin-Anwendungen ausliefern. Mithilfe von CLM lassen sich nicht nur die bereitgestellten Informationsumfänge steuern, sondern auch der Detaillierungsgrad der Informationen und die Formate, in denen sie bereitgestellt werden. Sie können weitgehend automatisiert zusammengetragen und dem Kunden als Datenpaket zum Beispiel im 3D-PDF-Format zur Verfügung gestellt werden.

Um die digitale Durchgängigkeit bei der Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg aufrechtzuerhalten, müssen sich die Austauschpartner zunächst einmal über den Umfang der auszutauschenden Informationen verständigen und gemeinsame Standards für den Umgang mit diesen Informationen vereinbaren. Die zentrale Frage aber ist, wo der Digital Twin leben soll? Nach Überzeugung von PROSTEP ist es zweckmäßig, dafür eine gemeinsame Collaboration-Plattform einzurichten, die Teil des Informationsmodells wird. Sie bietet die Möglichkeit, dem Kunden schon im laufenden Entwicklungsprozess die Informationsumfänge bereitzustellen, die er für den Aufbau seiner Digital Twin-Anwendung benötigt, und Änderungen im laufenden Betrieb bei Bedarf auch wieder mit den Mastermodellen zu synchronisieren. Über die gemeinsame Plattform können auch Teilumfänge der Betriebsdaten, die der Hersteller für neue Service-Angebote wie Predictive Maintenance oder Produkt-verbesserungen benötigt, mit dem Digital Thread verknüpft werden.

Drei Bausteine für den Digital Twin

Die Grundlagen für den Digital Twin werden schon in der Produktentwicklung und Produktionsplanung gelegt. Um ihn zum Leben erwecken und am Leben erhalten zu können, darf die digitale Nabelschnur nicht gekappt werden. Deshalb ist eine Integrationsplattform erforderlich, die die digitalen Informationen aus den unterschiedlichen Autoren- und Datenverwaltungssystemen zu jedem Zeitpunkt verfügbar macht. Ein leistungsfähiges Konfigurationsmanagement, das die Beziehungen zwischen den Informationsumfängen und ihre Gültigkeit managt, ist für den Aufbau eines Digital Twin unerlässlich. Die digitale Durchgängigkeit ist aber keine Einbahnstraße. Um den maximalen Nutzen aus dem Produkt-Zwilling im Sinne des Closed Loop Engineerings ziehen zu können, muss die Rückverfolgbarkeit zwischen Digital Twin und Digital Thread gegeben sein. Die Schaffung einer Collaboration-Plattform hält die digitale Durchgängigkeit auch über Unternehmensgrenzen hinweg aufrecht.

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