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Der Mittelstand braucht ganzheitliche Konzepte

Ein Interview mit Hans-Josef Nagel

Die Gesellschafter der PROSTEP AG haben letztes Jahr Hans-Josef Nagel zum neuen Mitglied des Aufsichtsrats ernannt. Dort will er nicht nur kontrollieren, sondern seine langjährige Erfahrung im Mittelstand und in der Fertigungsindustrie in die Strategie-Diskussionen einbringen. In unserem Interview verrät er, worauf es in IT-Projekten bei mittelständischen Unternehmen ankommt.

Frage: Herr Nagel, was reizt Sie an der Aufgabe eines Aufsichtsrats bei der PROSTEP AG?

Nagel: Als Aufsichtsrat habe ich natürlich in erster Linie eine Kontrollfunktion, aber ich habe gleich beim ersten Gespräch mit PROSTEP gesagt, dass ich nicht nur Zahlen und Verträge begutachten, sondern mich auch inhaltlich einbringen und die Strategie des Unternehmens mitdiskutieren möchte. Der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Heinz-Gerd Lehnhoff, den ich aus früheren Projekten bei General Motors kenne, hat mich vor allem wegen meiner Mittelstandserfahrung für den Posten vorgeschlagen.

Frage: Wo haben Sie Ihre ersten Erfahrungen im Mittelstand gesammelt?

Nagel: Ich habe ganz am Anfang meiner beruflichen Laufbahn für eine kleine Berliner Unternehmensberatung gearbeitet, die sich mit IT-Systemen für den Mittelstand beschäftigte. Dort haben wir ein Konzept für ein integriertes Vorgehen entwickelt, das die Einführung von Software mit der gleichzeitigen Verbesserung der betrieblichen Abläufe und der Qualifizierung der beteiligten Mitarbeiter verbindet. Damit wird erreicht, dass die neue Software zu einem Fortschritt in der Unternehmensentwicklung führt. Wir nannten das „Nutzenorientierte IT-Einführung“. Diesen Ansatz habe ich in allen meinen Industrieprojekten verfolgt. Der Nutzen wird nur erzielt, wenn der Change in den Prozessen und in der Arbeitsweise der Mitarbeiter gelingt.

Frage: Bei HighQ-IT haben Sie sich dann vor allem mit der Implementierung von SAP in der Automobilindustrie beschäftigt?

Nagel: Anfangs haben wir noch viel Individual-Software entwickelt, wurden dann zunächst Implementierungspartner von IBM und Baan und erst später von SAP. Nachdem R/3 auf den Markt kam, haben wir aber immer mehr SAP-Einführungsprojekte gemacht und wurden schließlich Special Expertise Partner der SAP für Automotive und PLM. Unsere Kunden waren je zur Hälfte OEMs und größere Mittelständler, sodass ich beide Welten kenne. Das OEM-Geschäft wurde allerdings seit López immer schwieriger, weil die Automobilhersteller dazu übergingen, größere Partner zu beauftragen und die Betreuung ihrer IT-Installationen outzusourcen. Mit 100 Beratern und 30 bis 40 Freiberuflern konnten wir diese Projektgrößen nicht mehr stemmen. Daraufhin haben wir die Manufacturing-Sparte von HighQ-IT 2008 an den amerikanischen Systemintegrator Perot Systems verkauft.

Frage: Wie beurteilen Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen die Situation von PROSTEP?

Nagel: Erst mal muss ich sagen, dass PROSTEP sehr gut aufgestellt ist. Das Unternehmen wirtschaftet grundsolide, hat ein gewisses Kapitalpolster und eine gute Marktposition durch die Art, wie es gerade bei den OEMs in die Projekte eingebunden ist. Insofern wäre aus Sicht des Aufsichtsrats eigentlich alles in Ordnung. Wo ich definitiv Verbesserungspotential sehe, ist bei der Ertragsstärke. Im OEM-Geschäft hat sich der Druck auf die Stundensätze in den letzten Jahren weiter verstärkt, so dass man nur durch hohe Auslastung einen entsprechenden Deckungsbeitrag erwirtschaften kann. Insofern halte ich den Schritt in die Fläche und die Verbreiterung der Kundenbasis für richtig und wichtig.

Frage: Welche Art von Kunden halten Sie da für besonders attraktiv?

Nagel: Wenn ich von Fläche rede, meine ich größere mittelständische Unternehmen, bei denen PROSTEP die Chance hat, früh in die Problem- und Lösungsdiskussion einzusteigen, die Lösungen konzeptionell mitzugestalten und daraus entsprechende Projekte abzuleiten. Unser Gestaltungsspielraum ist hier wesentlich größer, und die Bandbreite unseres Beratungs- und Lösungsangebots kommt umfassender zur Geltung. Dadurch ergibt sich eine ganz andere Kalkulationsgrundlage, vor allem wenn man die Lösungen auf Basis der eigenen Produkte gestalten kann.

Frage: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Stärken von PROSTEP?

Nagel: PROSTEP hat aufgrund seines Geschäftsfeldes und Know-hows exzellente Voraussetzungen für das, was mit der Digitalisierung in den nächsten Jahren auf uns zukommt. Sie erfordert eine größere Offenheit, Flexibilität und Variabililtät der Datenströme über das Internet. Die Integration unterschiedlichster IT-Systeme und Endgeräte bringt das Produkt digital nicht nur bis zur Fertigung oder zum Versand, sondern muss eine Rundumbetreuung des Endverbrauchers unterstützen. Standardisierung, Sicherheit, Dokumentation und Datenschutz sind Grundbedingungen für derart umfassende digitale Prozesse. Das alles sind Kernthemen, mit denen sich das Unternehmen seit Jahren beschäftigt.

Frage: Wie kann PROSTEP diese Stärken im Mittelstand besser ausspielen?

Nagel: PROSTEP kann ja schon Erfolge in der Fläche vorweisen. Bei den Reedereien hat sich das Unternehmen mit seinen Lösungen eine führende Stellung erarbeitet. In anderen Märkten ist man noch nicht ganz so weit, was damit zusammenhängen mag, dass PROSTEP von der Historie des OEM-Geschäfts her noch stark auf Akquise und Abwicklung klar umrissener Projekte ausgerichtet ist. Im Mittelstand muss man sich beim Kunden regelrecht „eingraben“, indem man sich als kompetenter Gesprächspartner für Innovationsthemen positioniert. Der Horizont und Aktionsradius des Projektleiters muss deutlich über den definierten Inhalt der Beauftragung hinausgehen. Während der Abarbeitung eines Projekts müssen bereits die Nachfolgeprojekte initiiert und vorbereitet werden.

Frage: Erfordern IT-Projekte im Mittelstand eine andere Herangehensweise?

Nagel: Sie erfordern ein anderes vertriebliches Vorgehen und auch eine andere Art der Projektleitung. Der Projektleiter darf sich nicht nur als Solution-Architekt verstehen, sondern braucht eine ganzheitliche Sicht auf die Dinge. Er muss die Ziele und den Business Case des Kunden und seine Prozesse verstehen und auch das Denken und Handeln der beteiligten Menschen. Ich glaube, dass viele Leute bei PROSTEP diese ganzheitliche Betrachtungsweise beherrschen. Sie müssen sie vielleicht noch etwas konsequenter anwenden und immer darüber nachdenken, wo sie dem Kunden sonst noch helfen können.

Frage: Der Mittelstand bevorzugt oft IT-Lösungen aus einer Hand und benötigt vielleicht auch Hilfe bei der Umsetzung von Industrie 4.0?

Nagel: Da wird sich die Welt verändern, weil es den, der alles aus einer Hand liefern kann, nicht mehr geben wird. Offenheit ist eine Grundvoraussetzung, um die Komplexität von Industrie 4.0 bewältigen zu können, weil die IT-Funktionen jetzt aus der Cloud über das Handy bis runter zur SPS-Steuerung durchgreifen. Die Kompetenz für diese Durchdringung kann niemand mehr ganzheitlich bieten, auch die großen IT-Anbieter nicht. Hier muss jeder bereit und in der Lage sein, in Teams von Mitgliedern aus verschiedenen Unternehmen und Organisationen zu arbeiten und ggf. solche heterogenen Teams auch zu managen. Die Fähigkeit zur konfliktarmen Zusammenarbeit im Sinne des Kunden ist gerade für mittelständische Unternehmen wichtig, weil sie nicht die Kapazitäten haben, selbst heterogene Teams zu steuern.

Frage: Sie würden also eher das Partnernetz aus- als zusätzliche Kompetenzen aufbauen?

Nagel: Ich glaube, dass PROSTEP dicht bei seinen Kernkompetenzen bleiben und nur sehr gezielt in zusätzliche Kompetenzen investieren sollte. Man braucht z. B. nicht unbedingt SAP-Kompetenz, sondern muss wissen, wer diese beisteuern kann. Wichtig ist es, kompetente Partner zu haben, mit denen man sich auf Augenhöhe begegnen und denen man vertrauen kann, auch wenn die Partnerwahl in vielen Fällen der Auftraggeber trifft. Man braucht nicht immer einen Generalunternehmer, sondern kann die Verantwortung gegenüber dem Kunden auch gemeinsam tragen - jeder für seinen Kompetenzbereich.

Herr Nagel, wir danken Ihnen für das Gespräch. (Das Interview führte Michael Wendenburg)

 


 

Zur Person

Hans-Josef Nagel (62) war bis 2009 geschäftsführender Gesellschafter des Münchner SAP-Beratungshauses HighQ-IT for the manufacturing industry GmbH und ist heute selbständiger Berater für Prozesse und Systeme. Geboren in Saarlouis, studierte Nagel Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin mit Schwerpunkt Software-Engineering und Produktionstechnik. Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Softwareingenieur bei sd&m Softwaredesign und Management in München und danach als Leiter Software und Prozesse bei der Thiede & Thiede Mittelständische Systemberatung in Berlin, bevor er 1989 zusammen mit einem Berliner Softwarehaus die Firma CONDAT Informationssysteme für die Industrie gründete, aus der später HighQ IT hervorging. Seit 2017 gehört Nagel dem Aufsichtsrat der PROSTEP AG an.

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