Alle Welt redet vom Digital Twin – auch im Schiffbau. Aber gibt es so etwas wie ein brancheneinheitliches Verständnis dessen, was die Unternehmen in der maritimen Industrie unter dem Digital Twin verstehen und was sie sich davon versprechen? Um das herauszufinden, hat PROSTEP eine unternehmensübergreifende Umfrage unter Werften, Betreibern Zulieferern und Klassifikationsgesellschaften durchgeführt. Wir gingen dabei von der Annahme aus, dass die Unternehmen schon aufgrund der Neuartigkeit des Themas unterschiedliche Vorstellungen vom Digital Twin haben.
Zielsetzung der Umfrage war es, das Digital Twin-Verständnis der Unternehmen in der maritimen Industrie zu durchleuchten, den Stand der laufenden oder geplanten Anwendungen und Lösungen mit ihren Potentialen und Herausforderungen zu erfassen und auch zu sehen, wie die Unternehmen die Zusammenarbeit rund um den Digital Twin organisieren. Befragt wurden Führungskräfte von mehr als einem Dutzend Werften, Betreibern, Zulieferfirmen und Klassifikationsgesellschaften, die unterschiedliche Bereiche der maritimen Industrie von Kreuzfahrt, Container und Fracht über den Anlagenbau bis zur Marine und Behörden repräsentierten.
Für viele Teilnehmer der Umfrage ist der Digital Twin bestenfalls eine Vision und im schlimmsten Fall ein Marketing-Buzzword. Von daher ist nicht verwunderlich, dass es in der Industrie kein einheitliches Digital Twin-Verständnis nicht gibt, wohl aber einige bemerkenswerte Gemeinsamkeiten. Über alle Branchensegmente hinweg verbinden die Befragten damit fast ausnahmslos die Digitalisierung ihres Produkts bzw. des zu betreibenden Assets, nicht jedoch die Digitalisierung der Produktionsanlagen. Fast alle Befragten sind außerdem der Meinung, dass dieser Digital Twin nicht mit der Übergabe des Produkts an den Kunden endet, sondern auch die Betriebsphase begleitet.
Generell hat es den Anschein, als hätten die Teilnehmer aus dem Zulieferer-Segment gegenüber anderen Branchensegmente einen gewissen Vorsprung, was den Reifegrad der Digital Twin-Vorhaben anbelangt. Viele befinden sich im Pilotstadium oder sogar schon im produktiven Einsatz. Zugleich sind die Zulieferer diejenigen, die am lautesten nach Standards rufen, um eine Integration ihrer digitalen Repräsentationen mit anderen Systemen im Gesamtsystem „Schiff“ zu ermöglichen und die Potentiale des Digital Twins zu heben.
Die Unternehmen beschäftigen sich aus unterschiedlichen Motiven mit dem Digital Twin. Aus Engineering-Sicht geht es in erster Linie um die Design-Optimierung durch Erkenntnisse aus dem Betrieb, das frühzeitige Testen von Funktionen und die Unterstützung nachgelagerter Geschäftsprozesse mit Hilfe des 3D-Produktmodells. In der Betriebsphase sind die bessere Planung und die Remote-Unterstützung von Wartungs- und Inspektionstätigkeiten sowie die Optimierung der Betriebsparameter wesentliche Treiber für laufende Vorhaben. Die virtuelle Bauabnahmen, die frühzeitige Schulung von Personal in der Bauphase des Schiffs und die Optimierung der Fertigungsprozesse sind erste Anwendungsfälle im Manufacturing.