Frage: Wird das bei der Beschaffung schon berücksichtigt?
Kriegel: Wenn wir heute neue PLM-Hersteller beauftragen, ist das eine unserer ersten Anliegen im Lastenheft. Das ist für uns ein Muss. Wir haben im VW-Konzern so ziemlich alles im Einsatz, was es an PDM- und PLM-Systemen gibt, und müssen ständig dafür Sorge tragen, dass auch System-Wettbewerber miteinander agieren.
Frage: Ist Future PLM, wie eine der Thesen fordert, bei Audi schon Chefsache?
Kriegel: Definitiv. Wir haben eine große Transformations-Offensive gestartet, die das Thema Systems Engineering in den Mittelpunkt stellt, mit dem Ziel, uns fit zu machen für die sehr anspruchsvollen Themen wie autonomes Fahren. Sie ist im Geschäftsbereich der Technischen Entwicklung aufgehängt und wir berichten dem entsprechenden Bereichsvorstand. Wir gestalten die Entwicklungsprozesse neu und digitalisieren diese konsequent. Das wird auch Auswirkung darauf haben, wen wir in Zukunft einstellen. Systems Engineering soll den Transformationsprozess in unserem Hause nicht nur ermöglichen, sondern treiben.
Frage: Eine der Thesen lautet, dass Future PLM nicht an der Unternehmensgrenze Halt machen darf. Wie werden Sie Ihre Zulieferer in das Systems Engineering einbinden?
Kriegel: Zum einen wollen wir die Standardisierungsinitiativen des prostep ivip-Vereins sowie des VDA zum Austausch von SE-Artefakten stärker unterstützen. Wir brauchen Standards wie FMI (Functional Mockup Interface), die wir gemeinsam mit unseren Lieferanten und anderen Automobilherstellern gestalten werden. Zum anderen wollen wir ausgewählte Lieferanten und ihre Best Practices von Anfang an in unsere Bebauung mit einbinden. Es gibt einige, von denen wir lernen können, und andere, die von uns lernen können, und das wollen wir in einer Community gestalten. Wir haben Standardisierung in der Vergangenheit oft als Zusatzaufgabe betrachtet und müssen umdenken. Das sehen wir als Grundlage unserer Arbeit.
Frage: Sie haben auch die These aufgegriffen, dass Future PLM kein IT-Projekt sein darf. Was bedeutet das für Ihre Vorgehensweise?
Kriegel: Wir wollen in der Entwicklung unserer Prozesse, Methoden, Tools (PMT) vom reinen Wasserfall-Modell wegkommen und agil werden. D.h. wir wollen die Sprints nutzen, um mit allen relevanten Stakeholdern in zwei- bis dreiwöchigen Workshops die Prozessstandards zu definieren. Die Teilnehmer müssen also mit der nötigen Richtlinienkompetenz ausgestattet sein, um das in ihre Fachbereiche tragen zu können. Das realisieren wir mit sogenannten Prozesswerkstätten und Projekthäusern, die im Tages- oder Wochenrhythmus neue Prozesse z. B. für das Anforderungsmanagement definieren und sich auch zur Einhaltung verpflichten. Auf dieser Basis kann die IT erste MVPs (Minimal Viable Products) erstellen und dem Kreis der Workshop-Teilnehmer präsentieren. Es geht darum, nicht immer gleich den Endzustand zu definieren, sondern mit 20 Prozent des Aufwands 80 Prozent des Funktionsumfangs zu beschreiben, in IT zu gießen, in die Praxis zu überführen und zu testen, dann erst den nächsten Schritt zu machen. Das ist ein gänzlich verändertes Vorgehen. Prozesse, Methoden und Tools sind hochkomplex miteinander vernetzt und müssen iterativ umgesetzt werden. Es geht um Speed.
Frage: Welche Thesen müssten Ihrer Meinung nach nachgeschärft werden? Wo fehlen vielleicht Thesen?
Kriegel: Ehrlich gesagt finde ich das Thesenpapier ziemlich komplett. Es bietet nach unserer Erfahrung nicht nur die Möglichkeit, mit den Fachexperten in die Diskussion zu gehen, sondern ist auch sehr wertvoll in der Kommunikation mit dem Top-Management. Vielleicht können wir die Thesen in Zukunft gemeinsam mit dem prostep ivip-Verein um Best Practices und konkrete Use Cases ergänzen.
Herr Kriegel, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg. (Das Interview führte Michael Wendenburg)