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Neue Geschäftsmodelle brauchen den Digital Twin

Von Karsten Theis

Neue service-orientierte Geschäftsmodelle fördern nicht nur ein nachhaltigeres Wirtschaften, sondern sind auch ökonomisch eine Win-Win-Situation für Anbietende und Nachfragende. Unternehmen, die ihre Produkte als Service anbieten, binden ihre Kunden langfristig an sich und erhalten leichteren Zugang zu Betriebsdaten, die ihnen die Optimierung der Produkte im laufenden Betrieb und die gezielte Verbesserung der nächsten Produktgeneration ermöglichen. Die Kunden reduzieren ihre Investitionskosten bzw. wandeln sie in laufende Kosten. Sie erhalten das, was das Produkt leisten soll, als Service zu klar kalkulierbaren Konditionen, ohne sich um Wartung oder Ersatz kümmern zu müssen.

Smarte Produkte und Systeme sind gewissermaßen die Turbine für solche Product-as-a-Service-Modelle. Sie kommunizieren über Internet der Dinge und Dienste mit anderen Produkten und Systemen, um autonom zu fahren, zu fliegen oder zu produzieren, und erfassen Daten über ihren Zustand, die für neue Service-Angebote genutzt werden können. Produkte müssen zwar nicht zwingend smart sein, um sie als Dienstleistungen anbieten zu können, aber sie erweitern das Spektrum möglicher Anwendungsfälle, in dem sie das damit verbundene Risiko für das herstellende Unternehmen reduzieren. Es ist nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen daran interessiert, dass die Produkte lange halten, wenig ausfallen und einfach zu warten sind.

Fast 60 Jahre ist es her, dass Rolls Royce mit Power-by-the-Hour die Grundlagen für das moderne Servitization-Geschäft legte: Statt Flugzeugturbinen verkaufte das Unternehmen Flugstunden und kümmert sich um Wartung und Austausch der Aggregate. Inzwischen folgen immer mehr Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen diesem Vorbild, z.B. Hersteller von Holzbearbeitungsmaschinen, von Lkw-Reifen oder von industriellen Klimaanlagen. Auch im B2C-Umfeld erfreuen sich Product-as-a-Service-Angebote einer wachsenden Beliebtheit.

Ohne Digital Twin des ausgelieferten Assets, der die Brücke zwischen digitaler und realer Produktwelt schlägt, sind solche service-orientierten Geschäftsmodelle nicht darstellbar. Er ist der Schlüssel für neue, datengetriebene Geschäftsmodelle. Unternehmen, die ihre Produkte als Service anbieten wollen, brauchen den digitalen Stellvertreter des Produkts oder der Anlage, um ihre Wartungskosten minimieren und die Verfügbarkeit des realen Assets maximieren zu können.

Der Digital Twin stand deshalb lange im Mittelpunkt vieler Digitalisierungsinitiativen. Umso mehr erstaunt es mich, wie ruhig es in den letzten Monaten um die digitale „Sau“ geworden ist, die vor der Corona-Pandemie von allen namhaften PLM-Herstellern durchs Dorf getrieben wurde. Das Thema ist auf Gartners Hype Cycle ins „Tal der Tränen“ abgerutscht. Das mag damit zusammenhängen, dass die Unternehmen mit den klassischen Entwicklungsmethoden und -Tools kaum noch in der Lage sind, die enorme Produktkomplexität in einem Digital Twin abzubilden.

Smarte Produkte enthalten sehr viel Software und Elektronik, die oft systemrelevante Funktionen übernehmen und deshalb als Teil des Digital Twins betrachtet werden müssen. Das erfordert eine domänenübergreifende Sicht auf die Dinge, die in vielen Unternehmen schon durch die unterschiedlichen Prozesse der einzelnen Domänen behindert wird. Außerdem fehlt ihnen der sprichwörtliche roten Faden, der alle diese Informationen über den gesamten Produktlebenszyklus zusammenhält und ihre Entwicklungsgeschichte nach- bzw. rückverfolgbar macht. Man spricht hier auch vom Digital Thread als Enabler der Traceability. Er ist zwingende Voraussetzung für den Digital Twin, oder wie Peter Bilello, Chef der Marktforschungsfirma CIMdata einmal gesagt hat: „Ohne Digital Thread bleibt der Digital Twin ein Waisenkind“.

In der heilen IT-Welt eines einzelnen IT-Herstellers ließe sich dieser digitale rote Faden vielleicht noch mit vertretbarem Aufwand spinnen. Aber die Welt in den meisten Unternehmen und vor allem bei den großen Automobilherstellern ist nicht „heil“, sondern höchst heterogen, und daran wird sich auch künftig nichts ändern. Infolgedessen müssen die Anwendenden einen erheblichen Aufwand treiben, um zu bestimmten Meilensteinen alle relevanten Informationen zusammenzutragen und die Rückverfolgbarkeit der Entwicklungsprozesse- und e-ergebnisse sicherzustellen.

Die Unternehmen brauchen deshalb neue Ansätze einer leichtgewichtigen Daten-Verlinkung und neue Lösungen wie OpenCLM: Eine intuitiv zu bedienende, Cloud-basierte Web-Applikation, die es ihnen ermöglicht, Informationen über System- und Domänengrenzen hinweg zu verknüpfen, damit alle Beteiligten jederzeit und unabhängig von ihren Anwendungen darauf zugreifen können. Ich lade sie herzlich ein, mal einen Blick darauf zu werfen.

Ihr Karsten Theis

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