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IoT-Plattform FIWARE ist Open Source und Open API

Ein Interview mit Ulrich Ahle

Obwohl die FIWARE Foundation schon 100 Mitglieder hat, ist sie in Deutschland noch weitgehend unbekannt. Das zu ändern wird eine der Aufgaben von Ulrich Ahle sein, der seit Anfang des Jahres als CEO der Foundation fungiert. Vor allem aber soll er die Entwicklung von neuen Services auf Basis der Open Source-Plattform FIWARE vorantreiben. Im Interview erläutert der ehemalige ATOS-Sprecher seine neue Mission.

Frage: Herr Ahle, die FIWARE Foundation wurde im Herbst letzten Jahres gegründet, hat aber eine längere Vorgeschichte. Was waren die Anfänge?

Ahle: Die Anfänge von FIWARE gehen fünf Jahre zurück, als die Europäische Kommission eine Future Internet Private Public Partnerchip (FI PPP) startete, mit dem Ziel, eine Open Source IoT-Plattform zu schaffen. Ungefähr 300 Millionen Euro wurden in den letzten fünf Jahren in den Aufbau dieser Plattform investiert, wobei nicht nur die Plattform entstanden ist, sondern auch ein offener Standard für den Datenaustausch: NGSI (Next Generation Service Interface) ermöglicht den Datenaustausch im Bereich Internet of Things und Smart Services.

Frage: Wie viele Firmen haben sich an dieser Partnerschaft beteiligt?

Ahle: Die FI PPP hatte unterschiedliche Programme und Phasen. Wenn man aber den gesamten Zeitraum betrachtet wurden mehr als 1.000 Firmen aus ganz Europa gefördert. Es sind sehr viele Start-up-Unternehmen neu entstanden, die auch heute noch Teil der FIWARE Community sind und diese Open Source-Software weiter entwickeln.


Frage
: Warum wurde dann die FIWARE Foundation ins Leben gerufen?

Ahle: Da die dritte Förderphase Ende letzten Jahres auslief, hat die Kommission den Aufbau der Foundation initiiert, die die Nachhaltigkeit der Investition gewährleisten soll. Sie wurde im Herbst von ATOS, dem italienischen IT-Dienstleister Engineering, Orange und Telefonica ins Leben gerufen, steht aber auch anderen Unternehmen offen. Vor ein paar Monaten ist z. B. die japanische NEC Corp. der Foundation als fünftes Platinum Mitglied beigetreten. Im Rahmen des zweiten FIWARE Summit Ende Mai konnte mit der kanadischen OPAF bereits das 100ste Mitglied der Foundation begrüßt werden.

Frage: Welche ist die Zielsetzung der Foundation, was soll sie bewirken?

Ahle: Die FIWARE Foundation ist von der Blaupause her ähnlich aufgestellt wie die OpenStack oder die Linux Foundation. Eine unserer Aufgaben ist die Koordination der Community, was auch die Organisation von Veranstaltungen wie dem FIWARE Summit einschließt, der Ende Mai in Utrecht stattfand. Zweite Aufgabe ist es, den Start-ups dabei zu helfen, auf Basis der FIWARE-Technologie ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln, mit dem sie künftig auch ohne Fördermittel bestehen können. Drittens sollen wir neue Branchen adressieren. FIWARE ist im Umfeld von Smart Cities als Plattform für die Digitalisierung von Städten und Kommunen entstanden. Das wollen wir in Richtung Smart AgriFood, d. h. der Digitalisierung der Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion, und in Richtung Smart Industry inklusive Industrie 4.0 erweitern. Vierte und letzte Aufgabe ist das, was da in Europa entstanden ist, zu globalisieren, denn nur wenn ein solcher IoT-Ansatz global akzeptiert und adaptiert wird, hat er langfristig eine Chance.

Frage: Welche Art von Start-ups sind im Umfeld FIWARE entstanden?

Ahle: Es sind Firmen, die die Bausteine von FIWARE nutzen, um daraus Anwendungen zu realisieren. Eine Firma erfasst z. B. Sensordaten, die die Luftqualität in Städten und Kommunen überwachen, andere ermöglichen intelligente Straßenbeleuchtungen oder versehen die Straßenlampen mit Kameras und Sensoren, um freie Parkplätze an erfassen und an Navigationssysteme zu melden. Diese Lösungen müssen nicht zwingend Open Source sein, denn irgendwann muss man auch mal Geld verdienen.

Frage: Die IoT-Plattform weiter zu entwickeln, kostet auch Geld. Die FIWARE Foundation ist jedoch eine Non Profit-Organisation?

Ahle: Das ist richtig, aber wir machen ja keine eigene Software-Entwicklung, sondern steuern sie nur mit agilen Methoden. Die Ressourcen kommen aus der Community mit einer ganzen Reihe großer Unternehmen, aber auch viele kleinere Start-ups und Free Lancer, die daran mitarbeiten.

Frage: Wie werden Sie Start-ups in die Lage versetzt, ihre Ideen zur Marktreife zu entwickeln?

Ahle: Wir haben dazu zwei Programme, die wir FIWARE Accelerators nennen, und ermuntern Firmen mit ersten Lösungsansätzen, ihre Vorschläge einzureichen. 24 dieser Firmen erhalten dann jeweils 100.000 Euro, die sie nicht zurückzahlen müssen, um ihre Lösungen an den Markt zu bringen. Die vier besten von ihnen erhalten weitere 250.000 Euro, und davon die beiden besten bekommen noch einmal 1,5 Millionen Euro an Venture Capital. Die anderen Zuschüsse werden über Fördermittel der Europäischen Kommission finanziert. Über 900 Start-ups haben sich um diese attraktiven Mittel beworben.

Frage: Beteiligen sich die Cities, die da smart gemacht werden sollen, an der Finanzierung?

Ahle: Nicht an diesem Programm, aber in anderer Form. Es gibt die Open & Agile Smart Cities Initiative, einen Zusammenschluss von Städten, die sich verpflichtet haben, ihrer Digitalisierung auf Basis von FIWARE voranzutreiben. Dieser Initiative gehören aktuell 109 Städte aus 22 Ländern an, allerdings noch keine deutsche Stadt. Wir hinken in Deutschland, was die Digitalisierung der Städte anbelangt, meiner Einschätzung nach etwas hinterher. Andere europäische Länder sind da weiter. Malaga betreibt z. B. ein eigenes FIWARE-Rechenzentrum und hat einen sogenannten iHUB bereitgestellt, wo Leute Erfahrungen mit FIWARE sammeln und austauschen können.


Frage
: FIWARE ist eigentlich eine ziemliche Erfolgsgeschichte. Warum hat man davon bislang außerhalb der IoT Community noch nichts gehört?

Ahle: In einigen Regionen Europas sogar innerhalb nicht viel. Das liegt ein bisschen daran, dass FIWARE von der Historie her sehr südeuropalastig war. Auch ATOS war ursprünglich über ATOS Research & Innovation in Spanien beteiligt. Als man dann die Entscheidung traf, mit dem Headquarter der Foundation nach Berlin zu gehen, fragte mich unser CEO, ob ich nicht meinen Hut in den Ring werfen wolle. Das war das erst mal, dass ich von FIWARE hörte, obwohl ich mich im IoT-Umfeld ein bisschen auskenne.

Frage: Sie wollen sowohl geografisch expandieren, als auch neue Märkte wie Smart Industry adressieren. Was ist mit Smart Engineering?

Ahle: Wir adressieren mit Smart Industry sowohl die Fertigung, als auch die Produktentstehung, obwohl ich zugeben muss, dass wir in diesem Bereich noch nicht so breit aufgestellt sind. Was die Globalisierung anbelangt, freuen wir uns sehr über die Beteiligung von NEC, weil wir FIWARE damit sehr gut in Japan bekannt machen. NEC hat bereits erste kommerzielle Angebote auf Basis von FIWARE realisiert, z. B. die Smart City in Wellington Neuseeland. In Richtung Westen sieht es so aus, dass die amerikanische Normierungsbehörde NIST FIWARE aufgenommen hat, und es gibt eine Initiative des Weißen Hauses, 80 Millionen Dollar in Smart Cities zu investieren, für die unter anderem FIWARE als Basis empfohlen worden ist.

Frage: Was zeichnet FIWARE gegenüber anderen IoT-Plattformen aus? Es ist ja nicht die Einzige und auch nicht die einzige Open Source-Plattform?

Ahle: Es gibt aktuell gut 360 IoT-Plattformen auf der Welt, davon ca. 10 Open Source-Anwendungen. Das was uns unterscheidet ist, dass wir neben der Plattform den Datenaustausch-Standard mitbringen, mit dem wir ein Konzept umsetzen möchten, das sich Multi-Sided Markets nennt. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Daten ihren wirklichen Nutzen nicht notwendigerweise im Umfeld der Entstehung entfalten, sondern vielleicht in einem ganz anderen Umfeld. Mit unserem Standard können wir Daten aus unterschiedlichen Anwendungsbereichen auf einer Plattform zusammenzuführen. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal sind unsere FIWARE Enabler, mit denen man sehr schnell Anwendungen zusammenbauen kann. Das bestätigt auch das Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme FOKUS, das vor der Gründung der Foundation gebeten wurde, die Belastbarkeit und Skalierbarkeit der Software-Architektur zu analysieren. Mit sehr positivem Ergebnis.

Frage: Kann man den Standard auch nutzen, um FIWARE mit anderen IoT-Plattformen zu verbinden?

Ahle: Das Thema Konnektivität ist ein drittes Unterscheidungsmerkmal. Wir sind nicht nur Open Source, sondern auch Open API. Von daher unser Motto Open APIs for Open Minds. Wir sind also offen, was die Schnittstellen und Datenmodelle angeht. Wie Sie wissen bin ich gleichzeitig Mitglied im Vorstand der Industrial Data Space-Vereinigung, die den Ansatz verfolgt, unterschiedliche IoT-Plattformen zu verbinden, um gemeinsame, virtuelle Datenräume zu entstehen zu lassen. Wir arbeiten gerade daran, dass die erste Open Source-Implementierung der IDS-Konzepte basierend auf FIWARE realisiert wird.

Frage: Wie viele IoT-Plattformen braucht die Welt?

Ahle: Im besten Falle eine, aber das wird nicht klappen. Es wird weiter Wettbewerb geben und es kann durchaus auch Situationen geben, in denen es für ein Unternehmen sinnvoll ist, sich für eine proprietäre Plattform zu entscheiden, weil die Komponenten z. B. besonders gut eingebunden werden können. Ob man allerdings 360 Plattformen braucht, und ihre Zahl wächst immer noch, wage ich zu bezweifeln. Ich bin fest davon überzeugt, dass es eine Marktbereinigung geben wird.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ahle. Wir wünschen Ihnen mit der FIWARE Foundation viel Erfolg. (Das Gespräch führte Michael Wendenburg)

 

 


Zur Person

Ulrich Ahle (Jahrgang 1962) leitet seit Anfang dieses Jahres die FIWARE Foundation mit Sitz in Berlin. Vorher verantwortete er bei IT-Dienstleister ATOS, einem der vier Gründungsmitglieder der Foundation, das Beratungs- und Systemintegrationsgeschäft in Deutschland für die Kunden in Fertigungsindustrie, Handel und Transportation. Ahle ist gelernter Werkzeugmacher und studierte Maschinenbau an der Universität Paderborn, bevor er seine berufliche Laufbahn bei der Nixdorf Computer AG begann. Von 1996 bis 2002 war er in verschiedenen Führungspositionen bei Siemens Business Services tätig, zuletzt als Vertriebsleiter der Siemens IT Solutions and Services. Ahle ist seit mehr als 15 Jahren Mitglied im Vorstand des prostep ivip Vereins und seit 2016 auch Vorstandsmitglied des Industrial Data Space e.V.

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