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KI kann helfen, ein durchgängiges Engineering sicherzustellen

Ein Interview mit Roman Dumitrescu

Dank ChatGPT hat sich die Künstliche Intelligenz (KI) zu einem regelrechten Hype-Thema entwickelt. Während die KI im Produktionsbereich schon genutzt wird, steht ihr Einsatz in der Produktentwicklung noch ziemlich am Anfang. Im Interview mit dem PROSTEP Newsletter erläutert Prof. Dr. Ing. Roman Dumitrescu, einer der Direktoren des Fraunhofer IEM in Paderborn, welche Potenziale die Unternehmen verschlafen.

Frage: Lange Zeit hieß es, die deutschen Unternehmen seien im Vergleich zu den chinesischen und amerikanischen rückständig, was den KI-Einsatz anbelangt. Stimmt das noch?

Dumitrescu: Wenn man sich den aktuellen Stanford AI Index Report anschaut, der viele Benchmarks zum Thema KI enthält, dann gibt es eine Größe, bei der das sicherlich stimmt: Bei den Risikoinvestitionen im privaten Sektor sind uns vor allem die USA weit voraus. Aber das hat eigentlich nichts mit KI zu tun, denn da waren wir noch nie gut. Auch wenn man sich KI als Wirtschaftssektor anschaut, sind wir in Deutschland deutlich schlechter aufgestellt als in China und den USA. Aber das ist ja auch gar nicht unser Geschäftsmodell. Unsere Stärke ist das produzierende Gewerbe, und da sind wir, was den Einsatz von KI angeht, ziemlich weit vorne. Und es gibt auch Kriterien in dem Bericht, wo wir sehr gut sind, zum Beispiel bei der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie. Das gibt es in anderen Ländern so nicht. Wir haben in Deutschland eine gute und breit aufgestellte KI-Forschung.

Frage: Wie viele Unternehmen haben überhaupt schon Erfahrung mit der KI, wenn man davon absieht, dass wahrscheinlich alle schon mal mit ChatGPT rumgespielt haben?

Dumitrescu: Die Frage ist, was man unter Erfahrung versteht. In den Unternehmen passiert schon recht viel zum Thema KI, z.B. in der Produktionsplanung, im Condition Monitoring oder in der Predictive Maintenance. Ich kenne keine moderne Produktion, selbst bei kleinen KMUs, die das nicht wenigstens schon mal probiert hat. Aber wenn es darum geht, diese Technologie strategisch zu erschließen, liegt die Zahl der Unternehmen nicht nur in Deutschland eher im einstelligen Prozentbereich.

Frage: In welchen Anwendungsbereichen wird die KI heute vorwiegend genutzt? Gehört das Engineering schon dazu?

Dumitrescu: Ich beschäftige mich schon seit Jahren mit dem Thema KI im Engineering und stelle fest, dass es immer noch schwierig ist, die Unternehmen davon zu überzeugen, dass KI ein riesiger Hebel mit enormem Potenzial ist. Im Produktionsbereich oder in der Planung wird sie schon massiv eingesetzt, aber in der eigentlichen Produktentwicklung stehen wir noch ziemlich am Anfang. Hier hat das Thema erst durch ChatGPT mehr Aufmerksamkeit bekommen, weil die Leute gemerkt haben, dass man damit sehr gut Software-Codes analysieren, dokumentieren und sogar erstellen kann.

Frage: Welches sind die größten Herausforderungen bei der Implementierung der KI im Engineering?

Dumitrescu: Jetzt könnte ich viel über Datenschutz oder die Limitationen von KI-Verfahren sprechen, aber das will ich gar nicht, weil das die falsche Botschaft wäre. Wir reden über Technologien, die zum Teil sehr jung sind, wo noch viel Erfahrung fehlt und wo auch die Rahmenbedingungen noch fehlen. Die versucht man durch den AI Act zu schaffen. Die eigentliche Herausforderung ist, dass die Unternehmen nicht erkennen, welchen Stellhebel sie da an der Hand haben, weil sie das zum Teil inhaltlich nicht verstehen. Da fehlt es tatsächlich an Aufklärung. Der typische Mittelständler hat einfach nicht die Zeit, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Frage: Wie sollten gerade mittelständische Unternehmen mit begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen bei der Erschließung der KI vorgehen?

Dumitrescu: Der große Vorteil in Deutschland ist, dass wir ein Netzwerk von Unternehmen und vielen Hochschulen und Forschungsinstituten haben. Wir müssen nicht alles alleine machen. Um beim Thema KI wettbewerbsfähig zu werden, liegt der Gedanke der Co-Innovation nahe, also einer Kooperation, um gemeinsam an dem Thema zu arbeiten.

Man sollte sich regionale Partner suchen, in einem Netzwerk aktiv sein und den Austausch mit anderen Unternehmen suchen, die ähnlich aufgestellt sind. Maschinen- und Anlagenbauer bedienen unterschiedliche Märkte, stehen aber vor sehr ähnlichen Herausforderungen.

Frage: Welche Hilfestellung leistet da eine Plattform wie der KI-Marktplatz, der ja als Forschungsprojekt an der Uni Paderborn entstanden ist?

Dumitrescu: Das war nicht einfach nur ein Forschungsprojekt. Das Bundeswirtschaftsministerium wollte KI-Innovationsökosysteme fördern, und wir hatten die Idee, ein Ökosystem für das Engineering aufzubauen, weil wir gemerkt haben, dass das Thema KI im Engineering nicht stattfindet. Jedenfalls nicht gezielt und nicht strategisch. Obwohl es auf der einen Seite KI-Lösungen gibt, und auf der anderen Seite den Bedarf, finden beide Seiten nicht zusammen. Deshalb haben wir eine Plattform geschaffen, die zwischen Start-ups und Spitzenforschung und den Unternehmen vermittelt und ihnen hilft, Use Cases zu identifizieren. Ziel des Projekts war die Gründung einer Firma, die inzwischen gut unterwegs ist.

Frage: Welches sind die interessantesten Anwendungsfälle für die KI im Engineering oder, anders gefragt, muss es immer ein Large Language Model sein?

Dumitrescu: Nein, nicht unbedingt, aber es spielt eine wichtige Rolle. Die Klassiker sind natürlich Topologie- oder Simulationsoptimierungen, also Algorithmen, mit denen man Entwurfsprobleme optimieren kann. Aber wenn Sie mich fragen, wo ich die interessantesten Anwendungsfälle sehe, dann ist das schon das Thema Large Language Models im Requirements Engineering. Das ist ein Megathema. Jeder, der sich schon mal mit der Produktentwicklung beschäftigt hat, weiß wie wichtig Anforderungen sind, von der Erhebung, über die Pflege bis hin zur Sicherstellung der Konsistenz etc. Large Language Models helfen sehr gut, solche Anforderungslisten besser zu pflegen und zu optimieren.

Frage: Ist es vorstellbar, dass wir irgendwann komplexe Produktmodelle von der KI erzeugen lassen?

Dumitrescu: Theoretisch ist das schon vorstellbar, aber davon sind wir noch sehr weit entfernt. Momentan sind wir froh, wenn wir einfache Geometrien KI-basiert erzeugen können, und die Geometrieerzeugung ist nicht die größte Herausforderung im Engineering. Das ist vielmehr die Vernetzung der Disziplinen und Domänen. Ich glaube eher, dass uns die KI helfen wird, den Lösungsraum besser zu explorieren. Was ist damit gemeint?

Entwicklerinnen und Entwickler schaffen ja gute Lösungen, aber sie schaffen es nicht, in der vorgegebenen Zeit drei oder vier gute Lösungsvorschläge zu entwickeln. Hier kann KI helfen, noch mal zwei oder drei Alternativen mehr zu generieren und damit innovativer zu werden.

Frage: Sie sehen also nicht die Gefahr, dass die Ingenieur*innen zu Erfüllungsgehilfen der KI werden?

Dumitrescu: Nein, diese Ängste sind unbegründet. Ich bin davon überzeugt, dass die Arbeit mit solchen KI-basierten Systemen richtig Spaß machen wird. Schlimmer als es jetzt ist, kann es gar nicht werden. Die Entwicklerinnen und Entwickler sind ja praktisch nur noch mit Informationsbeschaffung und Abstimmung beschäftigt. Das wird sich durch KI hoffentlich reduzieren, so dass sie mehr Möglichkeiten haben, wirkliche Designentscheidungen zu treffen. Es gibt Leute in den USA, die sagen, dass wir jetzt alle KI-Ingenieure werden und die KI entwickelt dann die Produkte. Das ist eine naive Sichtweise, die nicht funktionieren wird. Wir brauchen nach wie vor Maschinenbauer, Elektrotechniker und Softwareingenieure.

Frage: Daten sind das neue Öl, auch für das Training von KI. Haben wir im Engineering genug davon oder brauchen wir gemeinsam genutzt Datenräume?

Dumitrescu: Da bin ich ein bisschen zwiegespalten. Wir haben in Deutschland Initiativen wie Gaia-X, Catena-X oder Manufacturing-X, und ich selbst habe mich dafür eingesetzt, dass wir auch ein Engineering-X bekommen. Man beschäftigt sich aber vor allem - und das ist typisch deutsch – damit, dass diese Datenräume sicher und vertrauenswürdig sind, ohne die Frage zu beantworten, ob sie wirklich einen Mehrwert für die Unternehmen haben. Nach zwölf Jahren Forschung zu datenbasierten Geschäftsmodellen bezweifle ich immer noch, dass Unternehmen jemals wichtige Unternehmensdaten teilen werden, egal wie vertrauenswürdig die Datenräume sind. Und im Engineering sprechen wir von den wirklich wichtigen Daten. Ich befürchte daher, dass es den Use Case nie geben wird, obwohl wir massiv an den Lösungen dafür forschen. Man sollte vielleicht erstmal untersuchen, wie viele Daten ein Unternehmen braucht, um KI im Engineering sinnvoll einzusetzen. Und dann wird man feststellen, dass sie schon wahnsinnig viele haben. Wir haben deren Data Lake noch nicht erschlossen und wollen schon aufs offene Meer hinaus.

Frage: Mit welchen Themen rund um den KI-Einsatz im Engineering beschäftigen Sie sich in der Forschung aktuell?

Dumitrescu: Unsere Forschungs-Roadmap basiert auf drei Säulen. Kurzfristig relevant ist die Entwicklung von konkreten Co-Pilots oder KI-Assistenzsystemen für bestimmte Prozessschritte im Engineering. Die dritte oder langfristige Säule ist die Frage, wie die Engineering-IT-Infrastruktur der Zukunft aussehen wird und welche Rolle Large Language Models dabei spielen werden. Auch das Thema PLM wird durch Large Language Models ganz anders aussehen und viele Probleme, wie z.B. die Datenmigration bei einem Systemwechsel, lösen. Das zweite Forschungsthema und mein Lieblingsthema ist, wie uns KI helfen kann, ein durchgängiges Engineering sicherzustellen. Wir reden seit Jahren über vernetztes Engineering, domänenübergreifende Traceability oder den Digital Twin, aber scheitern immer daran, dass die Menschen nichts nachpflegen und vernetzen. KI kann uns helfen, Dokumentationen automatisiert nachzupflegen und Verknüpfungen herzustellen, die die Entwicklerin oder der Entwickler nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte. Wir kränkeln momentan daran, dass wir kein durchgängiges Systems Engineering haben. Das brauchen wir aber, um in der Entwicklung schneller zu werden.

Prof. Dumitrescu, vielen Dank für das interessante Gespräch.

(Das Interview führte Michael Wendenburg)


Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Roman Dumitrescu ist einer der drei Direktoren des Fraunhofer-Instituts für Entwurfstechnik Mechatronik (IEM) in Paderborn und verantwortlich für den Bereich Produktentstehung. Außerdem lehrt er als W3-Professor „Advanced Systems Engineering“ an der Fakultät für Elektrotechnik, Informatik und Mathematik der Universität Paderborn und ist Geschäftsführer des Technologienetzwerks Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe (it´s OWL). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das disziplinübergreifende Entwicklungsmanagement, die modellbasierte Systementwicklung (MBSE) und der Einsatz der Künstlichen Intelligenz im Engineering. Dumitrescu studierte Mechatronik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und arbeitete danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktentstehung des Heinz Nixdorf Instituts der Universität Paderborn. 2010 promovierte er bei Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gausemeier im Bereich Systems Engineering für intelligente mechatronische Systeme.

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