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Für die nächste Runde der Digitalisierung gerüstet

Ein Interview mir Dr. Kurt D. Bettenhausen

Die HARTING Technologiegruppe, einer der weltweit führenden Anbieter von Verbindungstechnik, hat im letzten Jahr die PLM-Strategieberatung von PROSTEP in Anspruch genommen. Im Interview erläutert Dr. Kurt D. Bettenhausen, Vorstand Neue Technologien und Entwicklung bei HARTING, die Digitalisierungsstrategie des Unternehmens und die Handlungsbedarfe im Bereich der Produktentwicklung.

Frage: Herr Dr. Bettenhausen, können Sie HARTING kurz vorstellen?

Bettenhausen: HARTING ist ein weltweit führender Anbieter von Connectivity-Lösungen zur Übertragung von Daten, Signalen und Energie in Automatisierungstechnik, Maschinenbau, Robotik und, ganz wichtig, in der Bahntechnik. Außerdem liefern wir komplette Kassenzonen und sind in der Automobiltechnik mit Aktuatoren, Magnetsystemen etc. tätig. Unser großer Wachstumsmarkt hier ist die Stromübertragung für Elektro-Fahrzeuge mit On-board-Ladekabeln sowie Ladekabeln und Connectivity-Lösungen für Ladesäulen. Wir sind Tier 1-Supplier des VW-Konzerns, z.B. für das gekühlte Schnelladen des Porsche Taycan.

Frage: HARTING hat Corona erfolgreich getrotzt und im letzten Jahr ein leichtes Umsatzwachstum erzielt. Was waren die Erfolgsfaktoren?

Bettenhausen: Erstens, nahe am Kunden und an den Märkten zu sein und schnell auf ihre Anfragen zu reagieren. Der zweite Faktor ist ein solides Verantwortungsbewusstsein. Wir haben dafür gesorgt, dass unsere Mitarbeitenden sicher arbeiten können, egal ob im Büro, in der Produktion, den Testlabors oder der Logistik, und dadurch unsere Lieferfähigkeit zu jedem Zeitpunkt aufrechterhalten. Dritter Faktor ist, dass wir unsere gesamte Marktkommunikation schnell umgestellt haben.

Frage: In welchen Branchen und Märkten verzeichnen Sie das größte Wachstum?

Bettenhausen: Ein Bereich ist sicher die Elektromobilität, die im letzten Jahr in Deutschland auch durch begleitende Maßnahmen richtig Schwung aufgenommen hat. Prozentual haben wir hier die größten Zuwachsraten verzeichnet. Wir sind aber auch im Bereich Transportation/Bahntechnik, in der Automatisierung und der Logistik gewachsen. Wenn wir in einer Zeit, in der viele Unternehmen schrumpfen, ein Wachstum erzielen, dann bedeutet dies, dass alle dazu beigetragen haben.

Frage: Sie sind kürzlich eine Kooperation mit dem MIT eingegangen. Welche Impulse versprechen Sie sich davon?

Bettenhausen: Wir versprechen uns davon, Partner für die Collaboration und Co-Creation zu finden. Das MIT ist eine der Topadressen weltweit, wenn Sie über den Tellerrand hinausschauen wollen. Das Ökosystem im Nordosten der USA ist ein bewusster Gegenpool mit seinem Hardware-Bereich zum Silicon Valley. Unternehmen, die über das Industrial Liaison Program Teil dieses Ökosystems sind, finden schneller zusammen, um gemeinsam Aufgaben zu lösen oder erste Prototypen zu entwickeln.

Frage: Wie innovativ ist HARTING? Wie jung sind Ihre Produkte im Schnitt?

Bettenhausen: Wir haben in allen Bereichen eine hohe Quote an neuen Produkten. Aber auch die Produkte, die unsere Kunden seit Jahren kennen und schätzen, entwickeln wir kontinuierlich weiter. Den HARTING-Steckverbinder HAN, den wir Ende der 50er Jahre patentiert haben, gibt es bis heute in unzähligen Varianten. Er wird ständig um neue Module wie z. B. ID-Module oder Stromsensoren und neue Leistungsgrößen erweitert.

Frage: Vor welche Herausforderungen steht HARTING in der Produktentwicklung? Wie global ist die Produktentwicklung?

Bettenhausen: Wir haben global verteilte Mannschaften, um die Entwicklung ganz nah bei und gemeinsam mit den Kunden voranzutreiben, auch wenn der Schwerpunkt der Entwicklung heute noch in Deutschland liegt. Das heißt in einem schnellen Austausch die Anforderungen der Kunden aufnehmen und selbst innovative Antworten entwickeln.

Frage: Sind Steckverbinder denn keine Standard-Produkte?

Bettenhausen: Wir haben die gesamte Bandbreite. Basis sind Standard-Steckverbinder aus dem Katalog mit einem modularen Konzept, die Sie entsprechend Ihrer Anforderungen konfigurieren können. Und es setzt sich fort im Geschäftsbereich der Customised Solutions, wo wir die komplette Lösung gemeinsam mit dem Kunden entwickeln. Schönes Beispiel sind die Jumper-Kabel zwischen zwei Eisenbahn-Waggons, bei denen jeder Waggon-Hersteller seine Präferenzen, was und wie er Daten, Signale und Energie austauschen möchte.

Frage: Was bedeutet diese Bandbreite für Ihre Digitalisierungsstrategie?

Bettenhausen: Sie muss entsprechend flexibel sein. Eine Digitalisierungslösung von der Stange hilft uns nur für unsere Standard-Produkte - bei allem anderen brauchen wir Flexibilität. Das fängt bei unseren Kolleginnen und Kollegen an, die erst mal die Aufgabe verstehen müssen, die sie gemeinsam mit dem Kunden in eine Lösung umsetzen sollen. Um das planen und produzieren zu können, sind außerdem entsprechend flexible PLM-Werkzeuge erforderlich.

Frage: In welchen Handlungsfeldern treiben Sie die Digitalisierung voran?

Bettenhausen: Wenn Sie einen modularen HAN-Stecker bis auf Losgröße eins produzieren wollen, müssen die Prozesse vom Bestellvorgang über die Produktion bis zur Logistik durchgängig digitalisiert sein. Deshalb wird der gesamte Bereich der Unternehmens-Software kontinuierlich überprüft. Es ist bei HARTING nicht so, dass wir ein Projekt machen und es dann in alle Ewigkeit einfrieren. Wir setzen ja auch nicht mehr die Drehmaschinen ein, die wir in der Lehrwerkstatt kennengelernt haben. Das Gleiche gilt für die Digitalisierung: Wir nutzen sie, entwickeln sie weiter und starten wann immer sinnvoll und erforderlich die nächste Stufe.

Frage: Und wie steht es um die Digitalisierung der Produktentwicklung?

Bettenhausen: Die Digitalisierung der Produktentwicklung allein hilft nichts, wenn wir die PS nicht auf die Straße bringen. Deshalb haben wir einen ausgezeichneten Maschinenbau, der bestimmte Spezialaufgaben hausintern lösen kann. In der Produktentwicklung hat sich in den letzten zehn Jahren viel getan. Die großen Player im PLM-Bereich haben komplette Lösungen herausgebracht, mit denen man die Eigenschaften der zu gestaltenden Produkte mechanisch, elektrisch und thermisch simulieren und das digitale Abbild bis in die Produktion runterbrechen kann.

Frage: Welche Rolle spielt PLM für Ihre Digitalisierungsstrategie?

Bettenhausen: Wir denken in den drei Kernprozessen Entwickeln, Produzieren und Verkaufen und zur Entwicklung gehören alle Schritte vom Design der Produkte über das Design der Produktionsanlagen bis zur Bereitstellung der daraus hervorgegangenen Produktdaten über die gesamte Wertschöpfungskette.

Frage: Wie sieht Ihre PLM-Landschaft aktuell aus? Welches sind die Eckpfeiler?

Bettenhausen: Stand heute sind das der gesamte Stammdatenhaushalt und die 3D-Zeichnungskette und jetzt geht es darum, mit einem vor uns liegenden PLM-Projekt den nächsten Schritt zu gehen.

Frage: Sie wollen nicht verraten, welche Systeme sie aktuell einsetzen?

Bettenhausen: Korrekt. Wir haben aber für PLM und ERP zwei der marktführenden Produkte im Einsatz.

Frage: Wenn Sie zwei führende Systeme einsetzen, wozu brauchten Sie dann die PLM-Strategieberatung von PROSTEP?

Bettenhausen: Wir wollten uns auf die nächste Runde vorbereiten und dabei nicht im eigenen Saft schmoren und von den Informationen der Hersteller abhängig sein. Bei einem PLM-Projekt geht es um die Prozesse, um die Organisation und erst am Ende um die Tools. Da nochmal eine weitgehend neutrale Drittmeinung einzuholen und zu schauen, ob wir mit unserer eigenen Einschätzung richtig liegen, war wichtig für die Vorbereitung des Projektes. Da hat uns PROSTEP sehr geholfen. Die Beratung fand statt, bevor ich ins Unternehmen eintrat. Ich habe nur noch die Ergebnispräsentation miterlebt und fand sie sehr gelungen, weil eine entsprechende Roadmap erarbeitet wurde, wie wir den Dreiklang aus Prozessen, Organisation und Werkzeugen in den nächsten Jahren weiterentwickeln können.

Frage: In welchen Prozessen gibt es Handlungsbedarf?

Bettenhausen: Bei der Überprüfung der heutigen Aufgabenverteilung im Kernprozess Entwicklung hat sich gezeigt, dass wir sie weiterentwickeln müssen. Das hat unsere eigene Bewertung bestätigt.

Frage: Können Sie konkret sagen, was Sie weiterentwickeln wollen?

Bettenhausen: Die Zusammenarbeit der verschiedenen Fachdisziplinen….

Frage: Das heißt, das Thema Mechatronik- bzw. Systementwicklung? Sie wollen zu einem stärker integrierten Entwicklungsprozess kommen?

Bettenhausen: Wir wollen den elektro-mechanischen Konstruktionsprozess um Funktionen anreichern und mit den beteiligten Fakultäten noch integrierter betreiben. In einem weiteren Schritt wollen wir Simulationen nicht mehr konstruktionsbegleitend durchführen, sondern in die Konstruktion integrieren.

Frage: Sie sind Vorsitzender des VDI-Gremiums Digitale Transformation. Was bedeutet Transformation für HARTING? Oder anders gefragt, digitalisieren Sie noch oder transformieren Sie schon?

Bettenhausen: Digitalisierung bedeutet in meinem Sprachgebrauch, Daten und Informationen digital zur Verfügung zu haben. Da sind wir bei HARTING schon sehr weit. Im nächsten Schritt geht es darum zu überprüfen, ob wir das mit unseren Prozessen und unserer Organisation so hocheffizient machen können, wie wir es vorhaben. Das ist der Transformationsaspekt, an dem wir konkret arbeiten.

Herr Bettenhausen, wir danken für das Gespräch.
(Das Interview führte Michael Wendenburg)

 



Zur Person

Dr. Kurt D. Bettenhausen ist seit September 2020 Vorstand für Neue Technologien und Entwicklung bei der HARTING Technologiegruppe Vorher war er Chief Technology Officer bei Greif- und Spanntechnik-Hersteller Schunk. Bettenhausen studierte Elektrotechnik an der TU Darmstadt, wo er auch promovierte. Danach sammelte er erste Berufserfahrung bei der Hoechst AG, Teile davon wurden 2001 von Siemens übernommen. Bei Siemens arbeitete Bettenhausen mehr als 17 Jahre in verschiedenen Führungspositionen, zuletzt als Senior Vice President der Siemens Corporation in den USA.

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