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Wir müssen lernen, mit der Künstlichen Intelligenz umzugehen

Ein Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. Frank Kirchner

Die Künstliche Intelligenz wird für Unternehmen aller Branchen zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor. Was sie leisten kann und was nicht und wo die Herausforderungen bei der Implementierung von KI-Anwendungen liegen, erläutert Prof. Frank Kirchner im Interview. Kirchner hat Computer- und Neurowissenschaften studiert und beschäftigt sich seit 25 Jahren mit der Frage, wie man die KI für die reale Welt nutzbar machen kann.

Frage: Sie haben mal gesagt, Sie seien über die Musik zur Künstlichen Intelligenz gekommen. Wie kam das?

Kirchner: Ich habe immer schon gerne Musik gemacht. (Kirchner spielt Gitarre und Klavier) Als ich anfing zu studieren hatte ich zunächst keine Band und habe probiert, mit Drum-Computern und Synthesizern zu spielen. Was mich störte war, dass die Rhythmen aus dem Computer damals sehr steril waren. Wenn ein Mensch trommelt, gibt es immer wieder leichte Verzögerungen, weil er sich gefühlsmäßig einbringt. Das ist kaum merkbar, verändert die Musik aber deutlich. Ich habe dann versucht, meinem Computer beizubringen, in Liedern an bestimmten Stellen die Präzision leicht zu variieren. Letztlich ist mir das nicht gelungen; es klang nur anders steril. Dass das eine Frage der KI war, ist mir erst später bewusst geworden, aber ich habe beim Programmieren entdeckt, wie kreativ Informatik sein kann.

Frage: Wie intelligent ist die KI wirklich und wo stößt sie an Grenzen?

Kirchner: Eine KI zu entwickeln, die wie der menschliche Drummer oder Gitarrist emotionale Zustände wahrnimmt oder sogar entwickelt und daraufhin sein Spiel anpasst, ist noch nicht möglich. Wir können mit den heutigen Methoden aber die menschlichen Emotionen oder Spielweisen nachahmen, indem wir den Algorithmen Tausende von Beispielen vorgeben. Das funktioniert nicht nur in der Musik, sondern auch in der Malerei. Man kann maschinelle Lernverfahren so trainieren, dass sie Bilder im Stil von bestimmten Malern reproduzieren.

Frage: Mit welchen KI-Themen beschäftigen Sie sich heute am Robotics Innovation Center?

Kirchner: Wir entwickeln Robotersysteme mit KI-Algorithmen für unterschiedliche Anwendungsfelder, angefangen von     Exoskeletten für die Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten über autonome Unterwasser-Roboter für die Inspektion von Offshore-Windkraftanlagen bis hin zu Produktionsrobotern, die gemeinsam mit menschlichen Werkern in der Produktion von morgen eingesetzt werden können, oder auch Weltraum-Anwendungen. Für die europäische Weltraum-Agentur bauen wir z.B. gerade robotische Systeme, die autonom die Mondoberfläche kartieren sollen, um Hohlräume in den Lavaschichten zu entdecken, die für den Bau einer Mondstation genutzt werden können.

Frage: In welchen Anwendungsbereichen sehen Sie die größten Nutzenpotentiale der KI?

Kirchner: Ich sehe einen sehr großen Nutzen im medizinischen Bereich, der aktuell durch die Corona-Pandemie vor enormen Herausforderungen steht, gerade was die Unterstützung der menschlichen Diagnose durch maschinelle Lernverfahren angeht oder bei der Entlastung des knappen medizinischen Fachpersonals von Routinetätigkeiten, die KI-basierte Roboter übernehmen könnten. In der Landwirtschaft, die ein Riesenproblem mit den fehlenden Erntehelfern hat, könnte man das Pflücken von Erdbeeren oder das Stechen von Spargel mit KI automatisieren. Hier versagt die einfache Automatisierungstechnik, weil nicht jede Pflanze gleich wächst. Man braucht Maschinen mit einer gewissen Intelligenz, die den Kontext erkennen.

Frage: Haben Sie den Bereich der Fertigungsautomation bewusst nicht erwähnt?

Kirchner: Das ist natürlich auch ein Anwendungsbereich, in dem die KI-basierte Robotik eine wichtige Rolle spielt. Wir arbeiten z.B. mit VW an hybriden Teams von Menschen und Robotern, um von den klassischen Produktionsstraßen mit „dummen“ Robotern wegzukommen, die immer nur das Gleiche tun. Ziel sind flexibel einsetzbare robotische Systeme, die als Assistenten der Menschen fungieren, auch wenn sie nur Werkstücke positionieren und ihn dadurch von schweren körperlichen Tätigkeiten entlasten.

Frage: In welchen Industrien wird die KI denn derzeit am intensivsten genutzt?

Kirchner: Wie in anderen Ländern wird sie in Deutschland schon seit einiger Zeit im Finanzbereich genutzt, und das sehr intensiv. KI-Methoden sind in der Büroautomation für Text-, Sprach- und Bilderkennung oder im Sicherheitsbereich, z.B. an Flughäfen im Einsatz, obwohl das nicht immer erkennbar ist. Im medizinischen Bereich nimmt die Verbreitung zu, und auch in der Produktion ist sie unter dem Schlagwort Industrie 4.0 angekommen. Die Vernetzung der Maschinen mit Hilfe von KI-Algorithmen ist die Basis für Produktivitätssteigerungen.

Frage: Wo liegen die Schwierigkeiten bei der Implementierung industrieller KI-Anwendungen?

Kirchner: Eine der größten Flaschenhälse ist, glaube ich, die fehlende digitale Infrastruktur. Erschreckenderweise ist ein großer Teil der deutschen Unternehmen noch analog unterwegs. Die Infrastruktur für die Erfassung der Daten aus Produktion, Logistik, Verwaltung bis in die Geschäftsführung hinein ist nicht wirklich gut ausgebaut. Da haben wir einigen Nachholbedarf. Zwar sind viele deutsche Mittelständler und auch kleinere Unternehmen inzwischen aufgewacht, aber sie wissen nicht wo sie mit der Digitalisierung anfangen sollen, da die restliche Infrastruktur in Deutschland nicht weiterhilft. Wir reden seit 20 Jahren über die flächendeckende Einführung von Glasfaser-Internet, und passiert ist nichts. Das ist ein echter Wettbewerbsnachteil.

Frage: Welche Chance ergeben sich durch die KI gerade für den Mittelstand?

Kirchner: Ich sehe da ein riesiges Potential, das unbedingt gehoben werden muss, wenn die Mittelständler weiter erfolgreich bleiben wollen. Denn auch sie sind am Ende des Tages weltweit unterwegs und müssen auf dem globalen Markt mit ihrer Entwicklung, Produktion und Logistik sehr schnell und kosteneffizient sein. Und sie müssen schnell auf unterschiedliche Marktsituationen reagieren können. Das Problem sind vor allem kleine Unternehmen, die häufig keine eigenen Forschungskapazitäten haben. Die unterstützen unsere Experten in Domänen vom Automobil- bis zum Bergbau bei der Entwicklung KI-basierter Lösungen, eine Besonderheit, die uns von anderen Forschungsinstituten unterscheidet.

Frage: Sie haben mehrere Jahre in Boston gearbeitet. Ist man dort offener für die KI?

Kirchner: In den USA aber auch in China sieht man zuerst den Nutzen der KI, während wir in Europa eher die Gefahren betonen. Was besser ist, sei mal dahingestellt. Wichtig ist, dass wir in Europa die KI an vorderster Front mit entwickeln müssen. Nur wenn wir hier in der ersten Liga mitspielen, können wir beeinflussen, wie sie entwickelt und vor allem wie sie eingesetzt wird. Sonst werden wir abhängig, mit all den schlimmen Folgen, die wir gerade in der Pandemie sehen. Wir brauchen mehr digitale Souveränität.

Frage: Wo liegen aktuell die Herausforderungen im Bereich der KI-Forschung?

Kirchner: Eine der Herausforderungen ist die Integration der verschiedenen KI-Methoden. Es gibt zum einen den symbolischen KI-Bereich der klassischen, logik-basierten Verfahren, die ihre Schwächen haben, wenn es um physische oder physikalische Phänomene der realen Welt geht. Hier sind subsymbolische KI-Verfahren, also maschinelles Lernen, neuronale Netze etc. sehr gut. Dann gibt es einen dritten Bereich, den ich die physische KI nenne, d.h. die Einbettung all dieser Methoden in Roboter oder andere Objekte der physischen Welt. Diese drei Bereiche zu einem hybriden Gesamtsysteme zu integrieren, ist die Herausforderung und zugleich Basis für die Erklärbarkeit und Transparenz von KI-Entscheidungen, die wichtig für das Vertrauen der Menschen ist.

Frage: Stimmt es, dass selbstlernende Systeme mit historischen Daten angelernt werden und Entscheidungen treffen, die oft nicht nachvollziehbar sind?

Kirchner: Das ist richtig. Wir müssen zum einen die Informatiker, die diese Algorithmen trainieren, entsprechend schulen. Sie brauchen ein sehr hohes Wissen über die Daten, die sie nutzen, woher sie stammen und wie sie gewonnen wurden. Diese Datenkompetenz muss in den Curricula der Informatik-Ausbildung verankert werden. Der zweite Punkt ist, dass die KI-Algorithmen z.B. bei der Auswertung von MRT-Scans dem Arzt auch eine Erklärung geben müssen, warum sie ein Karzinom erkannt haben. Erst dann hat er eine Grundlage, um diese Entscheidung zu akzeptieren. Das ist genau diese Transparenz, die wir da einbauen müssen.

Frage: Brauchen wir so etwas wie ethische Spielregeln für die Anwendung von KI?

Kirchner: Ja natürlich, aber die müssen wir auf Basis unserer ethischen Werte entwickeln, die für jede Technologie gelten. Ich sehe nicht, dass die KI neue ethische Fragen aufwirft und ich sehe auch keinen Weg, wie man das in die Technologie einbauen könnte. Das betrifft in erster Linie den Menschen.

Herr Prof. Kirchner, vielen Dank für das Gespräch.
(Das Interview führte Michael Wendenburg)

 



Zur Person

Prof. Dr. Dr. h.c. Frank Kirchner leitet seit 2002 den Lehrstuhl für Robotik im Fachbereich Mathematik und Informatik der Universität Bremen. Außerdem ist er dort Standortsprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) und verantwortlich für den Forschungsbereich Robotics Innovation Center. Kirchner studierte und promovierte in Bonn. Er forschte mehrere Jahre an der Northeastern Universität in Boston (USA) und leitete den Aufbau Brazilian Institute of Robotics in Salvador de Bahia, das 2013 nach dem Vorbild des DFKI gegründet wurde. Kirchner ist einer der führenden Experten auf dem Gebiet der KI-basierten Robotik und hat mehr als 350 Arbeiten zum Thema Robotik und KI veröffentlicht.

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