Frage: Welche Chance ergeben sich durch die KI gerade für den Mittelstand?
Kirchner: Ich sehe da ein riesiges Potential, das unbedingt gehoben werden muss, wenn die Mittelständler weiter erfolgreich bleiben wollen. Denn auch sie sind am Ende des Tages weltweit unterwegs und müssen auf dem globalen Markt mit ihrer Entwicklung, Produktion und Logistik sehr schnell und kosteneffizient sein. Und sie müssen schnell auf unterschiedliche Marktsituationen reagieren können. Das Problem sind vor allem kleine Unternehmen, die häufig keine eigenen Forschungskapazitäten haben. Die unterstützen unsere Experten in Domänen vom Automobil- bis zum Bergbau bei der Entwicklung KI-basierter Lösungen, eine Besonderheit, die uns von anderen Forschungsinstituten unterscheidet.
Frage: Sie haben mehrere Jahre in Boston gearbeitet. Ist man dort offener für die KI?
Kirchner: In den USA aber auch in China sieht man zuerst den Nutzen der KI, während wir in Europa eher die Gefahren betonen. Was besser ist, sei mal dahingestellt. Wichtig ist, dass wir in Europa die KI an vorderster Front mit entwickeln müssen. Nur wenn wir hier in der ersten Liga mitspielen, können wir beeinflussen, wie sie entwickelt und vor allem wie sie eingesetzt wird. Sonst werden wir abhängig, mit all den schlimmen Folgen, die wir gerade in der Pandemie sehen. Wir brauchen mehr digitale Souveränität.
Frage: Wo liegen aktuell die Herausforderungen im Bereich der KI-Forschung?
Kirchner: Eine der Herausforderungen ist die Integration der verschiedenen KI-Methoden. Es gibt zum einen den symbolischen KI-Bereich der klassischen, logik-basierten Verfahren, die ihre Schwächen haben, wenn es um physische oder physikalische Phänomene der realen Welt geht. Hier sind subsymbolische KI-Verfahren, also maschinelles Lernen, neuronale Netze etc. sehr gut. Dann gibt es einen dritten Bereich, den ich die physische KI nenne, d.h. die Einbettung all dieser Methoden in Roboter oder andere Objekte der physischen Welt. Diese drei Bereiche zu einem hybriden Gesamtsysteme zu integrieren, ist die Herausforderung und zugleich Basis für die Erklärbarkeit und Transparenz von KI-Entscheidungen, die wichtig für das Vertrauen der Menschen ist.
Frage: Stimmt es, dass selbstlernende Systeme mit historischen Daten angelernt werden und Entscheidungen treffen, die oft nicht nachvollziehbar sind?
Kirchner: Das ist richtig. Wir müssen zum einen die Informatiker, die diese Algorithmen trainieren, entsprechend schulen. Sie brauchen ein sehr hohes Wissen über die Daten, die sie nutzen, woher sie stammen und wie sie gewonnen wurden. Diese Datenkompetenz muss in den Curricula der Informatik-Ausbildung verankert werden. Der zweite Punkt ist, dass die KI-Algorithmen z.B. bei der Auswertung von MRT-Scans dem Arzt auch eine Erklärung geben müssen, warum sie ein Karzinom erkannt haben. Erst dann hat er eine Grundlage, um diese Entscheidung zu akzeptieren. Das ist genau diese Transparenz, die wir da einbauen müssen.