Unter dem Projektnahmen MF 19 bekommt die Pariser Metro eine neue Generation von Schienenfahrzeugen für die mit Stahlrädern betriebenen Linien. Der Vertrag zwischen den Betreibergesellschaften und den inzwischen „verheirateten“ Konsortialpartnern Alstom und Bombardier Transportation sieht die Lieferung von 44 Zügen im Wert von 530 Millionen Euro vor, die zwischen 2024 und 2026 in Dienst gestellt werden sollen – mit der Option auf weitere 410 Züge. Alstom wird im Wesentlichen Motoren, Antriebsketten, Bordelektronik und IT-Sicherheitssysteme liefern, während der ehemalige Bombardier-Standort im französischen Crespin für die Konstruktion und Produktion von Wagenkästen, Drehgestellen, Klimaanlagen und Interieur-Komponenten verantwortlich ist.
Durch die Übernahme von Bombardier Transportation erweitert der französische Alstom-Konzern seinen globalen Fußabdruck und wird zu einem weltweit führenden Anbieter von Mobilitätslösungen, der in 70 Ländern vertreten ist, rund 75.000 Mitarbeiter beschäftigt und pro forma einen kombinierten Umsatz von rund 15,7 Mrd. Euro erwirtschaftet. Zugleich erweitert Alstom durch die Übernahme sein Portfolio an innovativen bahntechnischen Produkten und Lösungen. Das Angebot reicht von Nahverkehrs- und Regionalzügen bis zu Hochgeschwindigkeitszügen und umfasst zudem neue strategische Produkte wie People Mover und Einschienenbahnen. Mit einer Flotte von 150.000 Schienenfahrzeugen verfügt das Unternehmen über die weltweit größte Installationsbasis, die zugleich das Fundament für den Ausbau der Führungsrolle im Servicegeschäft ist. Im Signaltechnik-Segment liegt es jetzt gemessen am Umsatz auf Platz zwei.
Beide Seiten brauchen Bauunterlagen
Alstom und Bombardier verbindet eine lange Geschichte gemeinsame Konsortialprojekte. „Aufgrund des oft sehr großen Projektvolumens sind solche Projekte im Schienenfahrzeugbau nichts Ungewöhnliches“, sagt Edouard Hundemer, der bei der ehemaligen BT im Bereich Bombardier Information Systems für das OpenPDM-Projekt und die End-to-End Integration der MF19-Engineering-Tools verantwortlich ist. „Eine Besonderheit des MF 19-Projekts ist jedoch, dass beide Partner in der Lage sein müssen, die kompletten Züge zu bauen. Sie benötigen deshalb alle für die Montage erforderlichen Informationen und Unterlagen, auch wenn nicht jeder alle Subsysteme fertigt.“ Die Auftraggeber wollen dadurch eine schnellere Auslieferung der neuen Metrogeneration sicherstellen.
Die Kollaboration stellt bei dem Konsortialprojekt eine große Herausforderung dar, die sich mit der Fusion beiden Unternehmen nicht automatisch erledigt hat, weil die IT-Landschaften noch nicht konsolidiert sind. „Grundsätzlich will jeder Partner für Design und Engineering nach Möglichkeit seine bestehenden IT-Systeme und Methoden verwenden, um den Kostenaufwand für die Anschaffung neuer Systeme und die Umschulung seiner Ingenieure zu vermeiden“, sagt Hundemer. „Gleichzeitig müssen beide Partner bei der Kollaboration aber das PLM-Paradigma der Single Source of Truth gewährleisten.“
Um die Zusammenarbeit zu vereinfachen, wurde für das MF 19-Projekt am Bombardier-Standort Crespin eine eigene Entwicklungsumgebung aufgebaut, die gewissermaßen die System- und Prozesslandschaft bei Alstom repliziert. So können die Entwickler der beiden Konsortialpartner ihre Engineering-Daten leichter synchronisieren, was vor allem in der frühen Entwicklungsphase mit seiner Vielzahl an Änderungen hilfreich ist. Für die neuen Kollegen bei Bombardier bedeutet es jedoch, dass sie die Daten anschließend in die eigene PLM-Landschaft integrieren müssen, um die Zusammenarbeit mit den Zulieferern aufrechterhalten und die nachgelagerten Prozesse in Fertigung und Montage mit Bauunterlagen versorgen zu können.
Die PLM-Landschaft an den ehemaligen Bombardier-Standorten ist relativ einheitlich, mit zwei oder drei Hauptsystemen. Als zentrales PLM-System nutzt der Bereich „Rolling Stock“ die Siemens-Software Teamcenter Enterprise (TCE), die nach und nach durch Teamcenter UA abgelöst wird. Für die Verwaltung der CAD-Modelle ist darüber hinaus Enovia 3Dcom als CAD-nahes Datenmanagement-System im Einsatz. Konstruiert werden die mechanischen Baugruppen normalerweise mit dem CAD-System Catia V5 von Dassault Systèmes, das auch bei Alstom im Einsatz ist.
OpenPDM steuert den Datenimport
Der Datenimport in TCE bzw. Enovia 3Dcom wird über die PLM-Integrationsplattform OpenPDM von PROSTEP gesteuert, die der neue Konzernbereich schon bei der gemeinsamen Entwicklung des ICE4 mit Siemens genutzt hat. „Wir haben bei dem ICX-Projekt gute Erfahrungen mit der Software gemacht und wussten dadurch, dass sie auf unserer Seite gut funktioniert“, sagt Hundemer. „Außerdem konnten wir sicher sein, dass wir die EN-Normen in punkto Nachweispflichten erfüllen.“